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Medien und strukturelle Veränderungen von Öffentlichkeit in der arabisch-islamischen Welt der Gegenwart

Dr. Albrecht Hofheinz
Lutz Rogler

Zusammenfassung des Abschlussberichts der Gruppe

Im Mittelpunkt des Projekts Medien und strukturelle Veränderungen von Öffentlichkeit in der arabisch-islamischen Welt der Gegenwart standen neuere Entwicklungen der Medienkommunikation. Während in Teilprojekt 1 Die "madjalla fikriyya" als Forum intellektueller Öffentlichkeit im Umfeld arabischer islamischer Bewegungen ein vergleichsweise "älteres", aber in Kontext, Form und Funktion recht rezentes Medium (theoretisch orientierte islamische Zeitschriften) untersucht wurde, ging es in Teilprojekt 2 Digitialer Dschihad - Virtuelle Demokratie - Allah.com: Cyber-Vernetzungen in der arabisch-islamischen Welt um ein paradigmatisch "neues" Medium (das Internet).
Die Ergebnisse des Projekts weisen darauf hin, dass die untersuchten Medien tatsächlich eine wichtige vernetzende Rolle spielen, zugleich jedoch eher bestehende Beziehungen und Bindungen stärken als zur Herstellung einer gruppenübergreifenden Öffentlichkeit beizutragen. Sowohl das Internet als auch die untersuchten Zeitschriften erweisen sich in vielfacher Hinsicht als ein zusätzlicher Handlungs- und Kommunikationsraum, der in bestehende gesellschaftliche Handlungsräume eingebettet ist. Insofern stützen beide Medien tendenziell eher eine Fragmentierung von Öffentlichkeiten: Ethnische, religiöse und ideologische Unterschiede werden stärker betont als kommunikativ aufgehoben. Gleichwohl ist ihnen gemeinsam, dass sie transnationale Kontakte intensivieren und daher auch einen Austausch zwischen lokalen und transnationalen Öffentlichkeiten befördern.
Entgegen der Annahme, das Internet könne einen großen Einfluß als Medium zur Herstellung einer wirksamen demokratischen Öffentlichkeit in der arabischen Welt haben, zeigte sich vielmehr, dass die zivilgesellschaftliche Mobilisierungskraft des Internet bisher relativ gering ist und nicht von einer deutlichen und wirksamen Umstrukturierung etablierter öffentlicher Kommunikations- und Interpretationsmuster durch dieses Medium die Rede sein kann. Demgegenüber konnte für die untersuchten Zeitschriften festgestellt werden, dass sie innerhalb ihres spezifischen Diskurs- und Kommunikations-zusammenhangs teilweise durchaus eine (selbst-)kritische Rolle spielen und in begrenztem Umfang neue Akzente für die ideologischen Selbstverständigungsprozesse im Umfeld islamischer Bewegungen setzen.

Teilprojekt 1

Digitaler Dschihad – virtuelle Demokratie – Allah.com: Cyber-Vernetzungen in der arabisch-islamischen Welt

Dr. Albrecht Hofheinz

Zusammenfassung des Abschlussberichts
Das Forschungsprojekt war darauf angelegt, Nutzung und Einfluss des Internet in der arabisch-islamischen Welt im Hinblick auf die Neuformierung von Öffentlichkeiten zu untersuchen. Ausgangspunkt war die Vorstellung, dass das Internet zivilgesellschaftlichen Akteuren bessere Kommunikationsmöglichkeiten und größere Freiheiten der Selbstdarstellung und Mobilisierung bieten würde als dies in der bisherigen, weitgehend staatlich kontrollierten Medienlandschaft arabischer Länder der Fall war. Die Analyse des in Feldstudien und Netzrecherchen gewonnen Materials führte den Bearbeiter allerdings bald zu dem Schluss, dass das Internet eine bedeutendere Rolle auf einer anderen Ebene spielt: Es ist ein wichtiger Faktor innerhalb einer gesellschaftlichen Entwicklung, die die Rolle des Individuums nicht zuletzt in Hinsicht auf die Verfolgung seiner Privatinteressen befördert. Eine zunehmende Vernetzung vor allem transnationaler Öffentlichkeiten ist im Internet zwar auch zu beobachten, und mit sinkenden Preisen und steigenden Nutzerzahlen wächst in jüngster Zeit auch die Bedeutung des Netzes für Information und Kommunikation innerhalb einzelner nationaler Öffentlichkeiten. Zwar profitieren auch Aktivisten der Zivilgesellschaft von der verbesserten Infrastruktur und beginnen, das Medium Internet mehr als bisher auch zur Koordinierung und Mobilisierung im Inneren zu nutzen. Insgesamt gesehen führte das bislang jedoch nicht zu einer nennenswerten Stärkung ihres Einflusses innerhalb des jeweiligen öffentlichen Spektrums. Die arabische Internet-Öffentlichkeit wird zunehmend geprägt von Portalen und Webseiten aus zwei Hintergrundbereichen: zum einen aus den Golfstaaten (v.a. Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten); zum anderen von global agierenden Unternehmen der Informationstechnologie (Microsoft, Yahoo!, Google). Die Angebote aus den Golfstaaten spiegeln und stärken moralisch konservative, populistisch islamische Anschauungen, zu denen sich im Zuge der politischen Entwicklung vor allem seit dem anglo-amerikanischen Angriff auf den Irak verstärkt antiamerikanische und antijüdische Gefühle gesellen. Solch populistische Haltungen sind auch den Angeboten der großen Global IT Player nicht ganz fremd; im Tenor geben sich deren Portale jedoch allgemein liberaler und oft auch unpolitischer. Inzwischen läuft über ein Drittel des gesamten arabischen Internetverkehrs über die Portale dieser Global Player, deren Firmenzentralen alle in Amerika oder Europa (BBC) zu finden sind. Dort sucht die ganz überwiegende Mehrzahl der Nutzer vor allem (1) Kontakt zu Freunden und Familie, besonders aber zu einer Welt, die jenseits ihrer physischen sozialen und geographischen Grenzen liegt; (2) Unterhaltung (Musik, Glamour, Sport, Autos, Games, usw.); (3) freie Diskussion über Gott und die Welt – nicht selten im wörtlichen Sinne. Die Bedeutung von Religion (d.h. hier: des Islam) in der arabischen Internetöffentlichkeit des ist deutlich höher als andernorts auf der Welt; das darf jedoch nicht überbetont werden (wie in der Medienberichterstattung und auch gelegentlich in einschlägiger Sekundärliteratur seit dem 11. Sep. 2001), sondern muss immer zusammengehalten werden mit der im Internet ebenfalls eindeutigen Tatsache, dass allgemeinmenschliche Interessen (Freunde, Unterhaltung, Grenzüberschreitungen) auch in der untersuchten Region im Vordergrund des Handeln im Netz stehen. Genau bei solch ‚banalen’ Handlungen (paradigmatisch herabwertend wird oft das verbreitete Chatten genannt) gewöhnen sich die Nutzer allmählich an eine größere Vielfalt der Stimmen, als sie in ihrer physischen sozialen Umwelt bislang selbstverständlich war. Aus der Notwendigkeit, die eigene Position gegenüber anderen, aber auch gegenüber sich selbst ständig im Hinblick auf konkurrierende Angebote und Interpretationen zu verteidigen, wächst tendenziell die Rolle individueller Wahlentscheidungen. Dabei herrscht ganz klar eine ständige Spannung zwischen individuellem Zugriff und dem Versuch der Portale, die Individualitäten massenweise zu kanalisieren. Bislang befördert das Netz, im untersuchten Raum, eine Individualität des Zugangs und Umgangs mit Informationen, nicht jedoch einen Individualismus der Meinung.
Die wichtigsten Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden 2004 veröffentlicht (in: Politische und gesellschaftliche Debatten in Nordafrika, Nah- und Mittelost, Hg. Sigrid Faath. Hamburg: Deutsches Orient-Institut) und auf internationalen Konferenzen in Beirut, London und Berlin einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Deutsche Medien berichteten ausführlich, u.a. durch ein Interview in tagesschau.de.

Die Presse (Wien): Artikel zum Projekt

Arbeitsergebnisse

Teilprojekt 2

Die "madjalla fikriyya" als Forum intellektueller Öffentlichkeit im Umfeld arabischer islamischer Bewegungen

Lutz Rogler

Zusammenfassung des Abschlussberichts
Das Forschungsprojekt "Die 'madjalla fikriyya' als Forum intellektueller Öffentlichkeit im Umfeld arabischer islamischer Bewegungen" beinhaltete die Erfassung, Charakterisierung und selektive Auswertung von theoretisch orientierten Zeitschriften (madjalla fikriyya) in arabischer Sprache, die seit Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts um Umfeld der "islamischen Strömung" in verschiedenen arabischen Ländern bzw. in der arabischen Diaspora in Europa und den USA erschienen sind.
Die Untersuchung ergab, daß die konkrete Nähe zu intellektuellen Milieus einzelner islamischer Gruppierungen und deren Umfeld von Publikation zu Publikation unterschiedlich ist oder sich im Laufe der Zeit veränderte. Zugleich bestätigte sich die Annahme, daß die Mehrzahl ihrer Autoren weder zur Gruppe der "traditionellen" oder "offiziellen" religiösen Spezialisten noch zu den politischen Führern von islamischen Bewegungen gehören, sondern zu einer im Kontext des "islamischen Erwachens" seit den siebziger Jahren zunehmend in die Öffentlichkeit getretenen Gruppe von Intellektuellen mit unterschiedlichem modernen, überwiegend geistes- und sozialwissenschaftlichen Bildungshintergrund. Die allen untersuchten Periodika gemeinsamen Merkmale der inhaltlichen Gestaltung verweisen andererseits auf die Verstehensvoraussetzungen, Erwartungen und Interessen einer relativ neuen Generation von akademisch gebildeten Lesern, die sich einer religiös-kulturell und/oder politisch- ideologisch bestimmten islamischen Werteauffassung verpflichtet sehen. Insofern stellt die islamische "madjalla fikriyya" ein publizistisches Genre dar, das sich zum einen von Periodika der mit "offiziellen" islamischen Institutionen verbundenen religiösen Spezialisten, zum anderen von Presseorganen einzelner politisch-islamischer Gruppierungen unterscheidet. Ein wesentliches Merkmal der untersuchten Periodika besteht in ihrer transnationalen Funktions- und Wirkungsweise, die zur Herstellung und Erhaltung eines spezifischen grenzüberschreitenden Diskurs- und Kommunikationszusammenhangs zwischen islami(sti)sch orientierten Intellektuellen in arabischen Ländern, Westeuropa und den USA beiträgt.

Arbeitsergebnisse