Markus Dreßler
Am Beispiel der Aleviten läßt sich zeigen, daß auch “säkularisierte” Muslime Staat und Gesellschaft religiös deuten können, auch wenn dies zunächst paradox erscheinen mag. Teile der Aleviten “sakralisieren” den Kemalismus gleichsam, wenn sie seine Entstehung aus der alevitischen Weltanschauung heraus erklären und ihn damit zugleich legitimieren. Aus diesem Deutungsmuster heraus werden die kemalistischen Reformen zur “Heilstat” Kemal Atatürks, und damit Teil der alevitischen “Heilsgeschichte”. Kemal Atatürk wird somit zum “Heiligen”, die kemalistischen Reformen und die kemalistische Ideologie erhalten eine religiöse Legitimation. Das Phänomen der religiösen Legitimation einer säkularen Staatsideologie, wie es uns im Fall der alevitischen Kemalismus-Interpretation begegnet, kann als Gegenentwurf zu islamistischen Gesellschaftsentwürfen interpretiert werden. In der Tat zeigt sich, daß die Konjunktur der spezifisch alevitischen Kemalismus-Interpretation in engem Zusammenhang mit dem Bedeutungszuwachs islamistischer Deutungsentwürfe innerhalb des türkischen Weltbildes steht. Dabei treten die Aleviten nicht, wie dies islamistische Bewegungen zum Teil tun, in Parteien organisiert an die Öffentlichkeit heran. Es geht ihnen nicht darum, ihre eigenen Vorstellungen von einem “gerechten Staat” als spezifisch alevitische Deutungen mehrheitsfähig zu machen. Als “ethnische” Minderheitengruppe können sie nicht “missionierend” für ihre Vorstellungen werben. Nichtsdestotrotz zeigen aktuelle Diskussionen in der Türkei, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung um den Begriff des Türkischen Muslimentums im letzten Spätsommer, daß die alevitische Interpretation des Islam, die diesen “türkisiert” und säkular definiert, durchaus auch von nicht-alevitischen Kemalisten aufgegriffen und propagiert wird.
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Dietrich Reetz
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