Bernt Glatzer
Die Taliban, die jetzt beherrschende politische Kraft in Afghanistan, bilden eine heterogene Bewegung, die von einem klaren ideologischen und organisatorischen Profil weit entfernt ist. Die spirituellen Wurzeln der Taliban sind zwar vor allem in pakistanischen dînî madâris zu suchen, die der Deobandi-Richtung nahestehen, die Deobandi-Richtung ist aber selbst heterogen, so werden auch die Taliban von einigen maßgebenden Deobandis (z. B. in Deoband) als Abweichler abgelehnt. Einige Autoren versuchen die Exzentrik der Taliban, die auch anderen radikalen Muslimen befremdlich erscheint, als Atavismus des ländlichen paschtunischen Volksislams zu deuten; aber gerade bei den Punkten, die den Taliban besonders wichtig sind, stehen sie im Widerspruch zur dörflichen Tradition: Seklusion und Exklusion der Frauen, Bartlänge, drakonisches Strafrecht, bizarre Kleidervorschriften, aggressives Sektierertum. Lediglich ihr Antiurbanismus findet auf dem Lande Sympathie, nicht nur bei Paschtunen. Sehr viel deutlicher ist dagegen der Einfluß zu erkennen, den der pakistanische Mufti Rashid Ahmad, Rektor einer Deobandi-"Universität" und Gründer der Al-Rashid-Stiftung in Karachi auf seinen Anhänger Mullah Omar in Kandahar ausübt. Die Autobiographie des Mufti gibt überraschende Hinweise auf die selektive Auslegung der kanonischen Schriften durch die Taliban.
Die Taliban werden häufig als eine tribalistische, ethnozentrisch paschtunische Bewegung bezeichnet - eine Interpretation, die aufgrund meiner Daten einer Differenzierung bedarf. Ich argumentiere, dass die Taliban weder allein als religiöse, noch als ethnische oder tribale Kraft zu verstehen sind, sondern vor allem auch als ein vorläufiges Produkt von internen und externen macht- und wirtschaftspolitischen Strategien.
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