BACK to Home Page Workshop: Orality and Literacy in African Societies
Dr. Erhard Kamphausen
Missionsakademie an der Universität Hamburg
Rupertistraße 67
22609 Hamburg
Tel.: 040/82 31 61 - 0 Fax: 040/ 8226361
1. Bei der Herausbildung einer Schriftkultur in Afrika war die Tätigkeit der christlichen Mission von größter Bedeutung. Die von den Missionaren gegründeten Missionsstationen waren nicht nur kirchliche und religiöse Zentren, sondern in den Stationen wurden auch Schulen errichtet, aus denen später die kolonialen Bildungssysteme hervorgingen. Ziel der missionarischen Bemühungen war die Bekehrung der "Heiden" zu christlichen Volksgemeinschaften und die Umwandlung der "Barbaren" in zivilisierte Christenmenschen. Um dieses Ziel zu erreichen, ließ man die "Eingeborenen" an der "Macht des Alphabets" partizipieren - dies jedoch nicht als Selbstzweck, sondern man wollte die Afrikaner und Afrikanerinnen befähigen, die Bibel möglichst in ihrer eigenen Muttersprache zu lesen.
2. Das Verhältnis von "orality" und "literacy" war dem missionarischen Verständis entsprechend ein Reflex einer hierarchischen, quasi dualistischen Weltsicht: Auf der einen Seite standen die niedrigen, un- und unterentwickelten, barbarischen "Naturvölker" Afrikas, auf der anderen Seite nahmen die hochentwickelten, geistig überlegenen christlichen Gesellschaften Europas ihren zivilisatorischen und kolonisatorischen Auftrag wahr. G.W.F. Hegel bringt in seinen "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" (Werke in zwanzig Bänden, Band 12, S.122, Theorie Werkausgabe, Suhrkamp Verlag 1961ff) die von den Missionaren tradierte Sicht der afrikanischen Menschen auf den Punkt: "Der Neger stellt, wie schon gesagt worden ist, den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar; von aller Ehrfurcht und Sittlichkeit, von dem, was Gefühl heißt muß man abstrahieren, wenn man ihn richtig auffassen will: es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden. Die weitläufigen Berichte der Missionare bestätigen dieses vollkommen ..."
3. Im folgenden wird der Versuch unternommen, zusammenfassend und das heißt auch relativ undifferenziert, die Paradigmen des Selbstverständnisses vor allem der deutschen protestantischen Mission zu profilieren. Quellenangaben für die folgenden Zitate, sowie weitere Belege finden sich in der Studie von Kamphausen, E./Ustorf, W., Deutsche Missionsgeschichtsschreibung. Anamnese einer Fehlentwicklung, in: Verkündigung und Forschung 22 (2/1977), 2-57.
4. Grundlage des gesamten missionarischen Unternehmens ist die nicht mehr hinterfragbare und gleichsam fundamentalistisch verstandene Lehre vom Absolutheitsanspruch des Christentums. Exemplarisch sei auf den prominenten Kirchenhistoriker Carl Mirbt verwiesen: Ihm ergibt sich die Begründung der Mission aus der Überzeugung, "daß das Christentum die absolute Religion ist, die für alle Menschen bestimmt ist und für alle ein Gut darstellt, das von ihnen auf anderem Wege als durch die Annahme des Christentums nicht gewonnen wird." Als biblisch-theologische Grundlage der "Heidenmission" dient den protestanischen Missionsleuten fast ausschließlich der sog. Missionsbefehl Matthäus 28, 18ff:
"Und Jesus trat zu ihnen, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende"
5. Missionsgeschichte und Weltgeschichte
In der Sicht der älteren Missionswissenschaft besteht aufgrund des expansiven, ja aggressiven Charakters der christlichen Mission eine enge Verflechtung zwischen der Missionsgeschichte und der "Welt- und Kulturgeschichte": "Man kann unmöglich die Geschichte der modernen Mission schreiben", bemerkt der Begründer der deutschen Missionswissenschaft, Gustav Warneck, "ohne zugleich in die Geschichte der Entdeckungen, Handelsbeziehungen und Colonien aufs engste verflochten zu werden." "Welt und Kulturgeschichte", wird dabei freilich nicht aus der Perspektive profanhistorischer Wissenschaft beurteilt, sondern die Begriffe erhalten eine theologische Deutung: Missionsgeschichte ist nicht ein isolierbares Phänomen innerhalb der Weltgeschichte, "sondern die Weltgeschichte ist auf sie veranlagt." Missionsgeschichte hat demgemäß aufzuzeigen "wie Gott die Weltgeschichte so gestaltet hat und fort und fort so gestaltet, daß sie die christliche Mission bedingt".
6. Die kairotische Bedeutung des 19. Jahrhunderts Alle protestantischen Missionshistoriker teilten die Auffassung, daß das ausgehende 19.Jahrhundert als ein geschichtlicher "Knotenpunkt" anzusehen sei, "in dem Mission zur Weltmission wird mit dem Ziel der endgültigen Weltevangelisierung." Aus der eurozentrischen Überzeugung, daß die christlichabendländischen Nationen die "Geschäftsführer" der Weltgeschichte seien, konnte daher leicht abgeleitet werden, daß nichteuropäische Völker "geschichtslos" seien.
Die Siegesgeschichte abendländischer Machtpolitik in Ubersee bedeutet demnach die Siegesgeschichte des Christentums. Göttlicher Vorsehung ist es zu verdanken, daß im Laufe des 18. Jahrhunderts die Herrschaft zur See auf die protestantischen Mächte überging. "Missionsgeschichte und Kolonialgeschichte", so Carl Mirbt, "stehen in einem so engen Zusammenhang, daß es für manche Zeiten schwer ist festzustellen, ob in ihnen der Missionsgedanke die führende Stellung einnahm, oder ob die kolonisatorischen Pläne das eigentlich treibende Motiv waren." Bewußt grenzte man sich gegen die katholische Kolonialmission des 16. und 17. Jahrhunderts ab, denn "diese stand unter dem Zeichen des brutalen Egoismus und gewährte den Eingeborenen keinen... Rechtsschutz gegenüber den Gewalttätigkeiten und der Willkür der Europäer". Aus diesem Grunde war man überzeugt, daß die Entfaltung und der Sieg einer neuen, von den nordeuropäischen protestantischen Mächten getragenen Kolonialpolitik, die Übernahme der Kolonialverwaltung durch die nationalstaatlichen Regierungen, das Bekenntnis zu einer verantwortungsbewußten Eingeborenenbehandlung und die Anerkenntnis moralischer Verpflichtungen in den kolonialen Beziehungen das moderne Missionszeitalter erst an sein eigentliches Ziel gebracht habe: Indem die christlichen Staaten mit ihren humanitären Regierungen die Weltherrschaft übernehmen, werde also das heilsgeschichtliche Handeln Gottes sichtbar: "Aus der Geschichte ist Gottes Ratschluß mit den Völkern abzulesen: durch ihre Begegnung mit dem christlichen Westen werden sie vor die Entscheidung gestellt. Eine geräuschlose Revolution vollzieht sich, die den Boden, auf dem sie stehen, untergräbt. Christlich-sittliche Ideen sickern so unaufhaltsam ein, daß auch die widerstandsfähigsten Fundamente durch sie ausgeholt werden... In diese Situation muß sich die Mission finden, in dieses Drängen christlich-westlicher Elemente, durch die Heil und Gericht über die Völker gebracht werden."
Der von Europa ausgehende Expansionsdrang wird in diesem Sinne als naturhafter und damit schicksalhafter Vorgang beschrieben: die europäische Kultur verbreite sich "wie ein dem Blut zugeführter Stoff", unerbittlich dringe sie erobernd vor: "Der politisch, wirtschaftlich und geistig überlegenenen Macht fällt der Sieg zu." Da diese Vorgänge offenbar einem historischen Determinismus unterliegen, wird die Frage nach der moralischen Berechtigung der Entrechtung, Unterdrückung und Ausbeutung der kolonisierten Völker zurückgewiesen. Für C.Mirbt steht fest, "daß die christliche Mission, indem sie ... Millionen von Menschen das Verständnis für europäische Kultur übermittelt, ein Mitarbeiter an der Kultivierung der Welt geworden ist".
7. Die Objekte missionarischen Handelns
Mission wird wesentlich begriffen als schöpferischer Akt des "Pflanzens", nämlich als ein aktives Einwirken der europäischen Sendboten auf eine passiv empfangende primitive, wilde, barbarische, kulturarme geschichtslose, heidnische Masse. Typisch ist G.Warnecks Forderung: "Bezüglich der Entwicklung auf dem Missionsfelde liegt der missionarischen Geschichtsschreibung ob, neben der ... Charakterisierung des Bodens, in welchen das Christentum gepflanzt werden soll, die Persönlichkeit der Pflanzer, die Art und Weise der Pflanzungsarbeit, die mehr oder weniger gehemmte Entwickelung der Pflanze von ihrem ersten Sprossen an bis zum vollen Frucht tragen und die durch die Neupflanzung allmählich bewirkte Meliorisierung des Ackers plastisch darzustellen."
Die zu missionierenden Völker sind also wesentlich als Objekte missionarischer Tätigkeit anzusehen und zu interpretieren, Objekte, die sich zwar im Prozeß der Christianisierung verändern, die aber selbst nicht als Subjekte einer eigenen Geschichte beschrieben werden können und dürfen. Zwar berücksichtigt man die Eigenart der Völker genau (Verschiedenheit des Bodens), besonders den qualitativen Unterschied von "Kulturvölkern" und "Naturvölkern", dennoch hegt man keinen Zweifel, daß die nichteuropäischen Völker allesamt Objekte der erzieherischen Einwirkung sein müssen. Die Mission wird von G. Warneck deshalb als "Zucht- und Gewöhnungsschule für die Völker" bezeichnet. Dabei müsse berücksichtigt werden, daß die Erziehung "auf eine sittliche, geistige und soziale Gesamthebung des Volkslebens, auf eine Durchdringung der völkischen Naturverbände mit den Sauerteigskräften des Evangeliums gerichtet sein müßte." Die Notwendigkeit eines scharfen, ja totalitären Einwirkens auf die zu missionierenden Objekte begründen Missionswissenschaftler mit dem überaus niedrigen Zustand, in dem sich vor allem die heidnischen "Naturvölker" befänden. So schreibt der Historiker Julius Richter, dessen umfangreiches Werk "Missionsgeschichte Afrikas " bis heute zur Standartliteratur gehört: "In der modernen Mission in Afrika kommen die höchstentwickelten Kultur- und Herrenvölker der Welt zu den 'Wilden' des Urwalds und der Steppe, zu Nomaden- und Jägervölkern mit armseligem Geistes- und Kulturbesitz; sie kommen als die Reichen zu den Armen, als die Starken zu den Schwachen." Daher gilt: "Die Hauptaufgabe des Zeitalters in Afrika ist die Einpflanzung einer bodenständigen und wachstümlichen Kultur in die Wildnisse des aus Mangel an geistiger Anregung dumpf gewordenen Negerlebens."
Es ist allgemeine Überzeugung, daß sich bei allen "heidnischen Völkern" der quasi pathologische sittliche Defekt der "Lügenhaftigkeit" nachweisen ließe. "Wie stark auch immer die heidnischen Völker in Kultur, in Begabung, in Lebenshaltung sich voneinander unterscheiden mögen, im Hang zur Lüge stimmen sie überein. Dieser epidemisch auftretende Fehler erklärt sich daraus, daß ihnen eine Vorstellung von Gott, die den Menschen zur Wahrhaftigkeit verpflichtet, fremd ist." J. Richter urteilt demgemäß, daß Charakterstärke den primitiven Völkern Afrikas "fast durchgängig fehle"; deshalb brauche der Schwarze "vor allen Dingen Bekehrung", die ihm als "sittliches Eisen im Blut" "neues Rückgrat" gäbe. Bekehrung, d.h. die totale Negierung der bisherigen Lebensweise, ist das Ziel der missionarischen Pädagogik: "Unter der Christianisierung eines Volkes, auf welche die Mission abzielt und hinarbeitet, wird nicht nur die Annahme und Anerkennung bestimmter Glaubenswahrheiten verstanden, sondern die Durchdringung des ganzen Lebens mit dem Geiste des Christentums. Es handelt sich um die Erneuerung des Menschen von Grund aus, und um die Einpflanzung einer neuen Gesinnung, die sich dann in allen Richtungen und Beziehungen zu betätigen hat, und infolgedessen zur Abstellung aller Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche führen muß, die mit den Grundsätzen des Christentums in Widerspruch stehen." Zur erstrebten radikalen Umformung der autochthonen Persönlichkeit schienen europäische Normen, insbesondere das Ethos der Arbeit, die beste Eignung zu besitzen, und hier bot sich zudem nahtlos die Kooperation mit der Kolonialverwaltung an: "In dem Interesse, eine arbeitsam Bevölkerung heranzubilden ... trifft der Missionar mit dem Kolonialpolitiker zusammen." Die Haltung des "Eingeborenen" zur Arbeit galt nämlich als Kriterium seiner "sittlichen Reife" und Gradmesser des Umerziehungserfolges. Das Arbeiten der einheimischen Bevölkerung war deshalb "aus religiösen wie sittlichen Gründen mit aller Energie herbeizuführen". G. Warneck urteilt, "daß der Erfolg der afrikanischen Mission zum großen Theil von der Achtung und Liebe zur Arbeit abhängen wird, die man den Schwarzen, welchen man das Evangelium verkündigt, einflößt."
Es kann kein Zweifel bestehen, daß hier nicht nur das Wesen der Arbeit in den vorkolonialen Stammesgesellschaften unbegriffen bleibt, sondern daß die Ausbeutung der afrikanischen Arbeitskraft im Interesse des europäischen Kolonialismus vollauf bejaht und aktiv gefördert wird.
Im Kontext dieses Verständnisses ist ebenfalls ein Platz reserviert für die im Zuge der kolonialen Herrschaftssicherung errichtete Rassenschranke, denn "auch die christliche Mission respektiert die Gliederung der Menschheit in Rassen, indem sie in ihr eine Gottesordnung erblickt.... Der Neger Afrikas, der ein Christ wird, tritt damit zwar unter Einflüsse, die ihn moralisch, religiös und geistig heben, aber der ihn von den Weißen trennende Rassenunterschied wird dadurch nicht neutralisiert".(J.Richter) Auch G.Warneck betont, daß das Evangelium die Rassenschranke nicht aufhebe, zumal die charakterlichen "Defekte" der Afrikaner niemals gänzlich beseitigt werden können, sodaß zu einer (späteren) "Selbstregierung der farbigen Rasse wenig Vertrauen" bestehe. Für gefährlich hält er daher die demokratische "Sucht der Egalisierung", denn: "Das schlechteste Princip um Afrika zu civilisieren... ist die Menschheits-Parodie: liberté, égalité, fraternité."
8. Mission und kirchliche Selbständigkeit
Alle älteren Missionshistoriker stimmen darin überein, daß es Ziel der Mission sein müsse, selbständige Volkskirchen zu begründen, die sich eines Tages selbst verwalten und selbst ausbreiten können. Im allgemeinen wird die Selbständigkeit der "werdenden Kirchen" aber als ein in unabsehbarer Zukunft liegendes Fernziel verstanden. G. Warneck hält demgemäß die Gewährung kirchlicher Unabhängigkeit schon aus dem Grunde für wenig ratsam, weil die eingeborenen Mitarbeiter in den afrikanischen missionskirchen auf längere Zeit "noch nicht reif" seien für das Tragen größerer selbständiger Verantwortung. Dabei hegt er die Befürchtung, daß die von den Missionaren verlassenen einheimischen Gemeinden der Versuchung des atheistischen Säkularismus wie des gerade entstehenden afrikanischen und damit antieuropäisch ausgerichteten Nationalismus hilflos ausgeliefert seien.
Von hieraus wird deutlich, daß gerade nicht eine genuine Selbständigkeit erstrebt wurde. Leitender Gedanke war also nach J.Richter "nicht die möglichst baldige Selbständigstellung der Einzelgemeinden und die Zurückziehung des Missionspersonals, sondern die Zielvorstellung, "eine im Volksboden wurzelechte und entwicklungsfähige Kirche hervorzubringen." Mit der Selbständigkeit werden also keine Fragen der Devolution, d.h. der Abtretung von Verantwortlichkeit mehr assoziiert, sondern man ist geradezu fixiert auf den "Boden", auf den die Kirche nun selbst zu stehen kommt. Anstelle der Selbständigkeit wurde die "Bodenständigkeit" entscheidend."
9. Zusammenfassende Thesen zum Verhältnis von "orality" und "literacy" im Kontext des missionarischen Selbstverständnisses
l. "Literacy" qualifiziert die überlegene Zivilisation der "Kulturvölker", die in einem evolutionär verstandenen Prozess ihre höchste Entwicklungsstufe in den vom dem christlichen Gedankengut geprägten europäischen Nationalstaaten gefunden haben.
2. "Oralität" kennzeichnet die primitive, noch nicht entwickelte Mentalitität der "Naturvölker".
3. Mündliche Überlieferungen in den traditionellen afrikanischen Gesellschaften gelten daher als Mythen, die keine genuine Aussagekraft besitzen. Durch ihr Durchdrungensein von "heidnischen" Vorstellungen werden sie pauschal als "Lüge" abqualifiziert.
4. Andererseits haben viele Missionare diese Traditionen gesammelt und verschriftet und damit wertvolles Quellenmaterial für die Rekonstruktion afrikanischer Geschichte bewahrt.
5. Ziel der missionarischen Pädagogik war die Alphabetisierung der "Heiden". Indem sich eine Elite von zum Christentum konvertierten Afrikanern und Afrikanerinnendie "Macht des Alphabets" aneigneten, gelang ihr im Kontext der "kolonialen Situation" zur der Ubergang zur Moderne. Die Missionsschulen wurden so gegen ihre eigene Intention - zu Keimzellen antikolonialen Widerstandes und zu "Kaderschmieden" der Dekolonisation.
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