Koordination des Verbundprojekts: Privatdozent
Dr. Dietrich Reetz, Zentrum Moderner Orient, Berlin
Laufzeit: 1.07.2006 bis 31.06.2009
Inhaltsverzeichnis:
- Problemstellung
- Forschungsstand
- Kooperationen
- Forschungsdesign
- Erwartete Ergebnisse
- Literatur
Problemstellung
Das Verbundprojekt untersucht Formen gelebter Religiosität
von Muslimen und islamischen Einrichtungen in Deutschland und
ausgewählten europäischen Ländern sowie in mit
ihnen verbundenen Gesellschaften Asiens und Afrikas. Die Untersuchungen
sind als exemplarische und komplementäre Fallstudien angelegt.
Zugleich bieten sie die Möglichkeit für eine vergleichende
Betrachtung hinsichtlich der Normen der verfolgten islamischen
Projekte, des Verständnisses der europäischen Identität
durch die muslimischen Akteure, hinsichtlich der institutionellen
und konzeptionellen Vergesellschaftungsprozesse muslimischer Akteure,
sowie im Hinblick auf Formen von Rückkopplungen an Länder
in Asien und Afrika. Sie sollen zu einem erweiterten pluralistischen
Verständnis von europäischer Identität beitragen,
indem die Forschungsergebnisse aktiv an die Öffentlichkeit
kommuniziert werden und Empfehlungen für Politiker und andere
Entscheidungsträger ausgearbeitet werden.
Die Untersuchungen in sieben Teilprojekten sollen dazu beitragen
zu verstehen, ob und in welchen Formen ein religiös bestimmtes
Leben von Muslimen in Europa möglich ist und welche Hindernisse
damit verbunden sind. Diese Fragestellung erscheint von übergeordneter
Bedeutung für das Verständnis der Perspektiven eines
Zusammenlebens verschiedener Kulturen, Religionen und Lebensweisen
in Europa. Das Verbundprojekt soll zu einer differenzierten Wahrnehmung
der sozialen, kulturellen und religiösen Identität Europas
beitragen, die sich aus vielfältigen Verbindungen mit anderen
Kulturen und Regionen speist.
Gerade Ansprüche auf öffentlich sichtbar gelebte islamische
Religiosität waren und sind Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen
zwischen säkularen, christlichen und machtpolitisch orientierten
Kräften in Europa einerseits und religiösen Vertretern
muslimischer Gruppen andererseits. Erstere verstehen die Absicht,
den Islam öffentlich und demonstrativ religiös in Europa
leben zu wollen, als eine Absage an einen europäischen Wertekonsens
(vgl. Asad 1997 und 2003; Hafez 1997; Esposito 1999; Bielefeldt
2003; Amir-Moazami 2005a). Letztere sehen darin den Wunsch, mit
ihrer Identität in Europa wahrgenommen und als Mitglieder
der Gesellschaft anerkannt zu werden. So artikulieren vor allem
Muslime der zweiten und dritten Einwanderergeneration ihr Bedürfnis
nach gesellschaftlicher Anerkennung und politischer Partizipation
im Namen ihrer religiösen Zugehörigkeit und als Bürger
europäischer Nationalstaaten (vgl. Birt 2005a; Venel 2004;
Schiffauer 2004; Tietze 2001; Amiraux 2001; Geaves 1996; Khosrokhavar
1997a und 1997b). Die öffentlichen Auseinandersetzungen beispielsweise
um das muslimische Kopftuch oder um neue repräsentative Moscheebauten
lassen diese beiden Positionen sehr deutlich erkennen (Schmitt
2003; Oestreich 2004; Lorcerie 2005; Amir-Moazami 2005a). Dabei
ist öffentlich sichtbar gelebte islamische Religiosität
nicht nur in Europa kontrovers, sondern auch in der islamisch
geprägten Welt, den Herkunftsländern europäischer
Muslime (Göle/Ammann 2004; Kandiyoti/Ëaktanber 2002).
Vor diesem Hintergrund will das Projekt in Einzelstudien konkrete
Entwürfe dezidiert religiöser Lebensformen, ihre Diskurse
und Institutionen untersuchen. Ein häufiger Vorwurf gegen
religiöse Muslimaktivisten mündet darin, sie als unvereinbare
Fremdkörper einer „anderen Zivilisation“ darzustellen.
Das Verbundprojekt möchte hingegen den Verbindungen zwischen
„Herkunfts-“ und „Aufnahmegesellschaften“
analytisch nachgehen und dabei die tatsächlichen Wechselwirkungen
kritisch überprüfen, um auf diese Weise geläufige
Klischees zu hinterfragen. Entsprechend sollen Rückkopplungen
und transnationale Beziehungen von Muslimen in Europa nicht in
erster Linie als konflikthaft, sondern auch in ihren möglichen
konstruktiven Dynamiken betrachtet werden. Aus diesem Grund wird
auch die translokale „Wanderung“ von Konzepten, Modellen
und Lösungsansätzen untersucht.
Der mehrfache Perspektivwechsel zwischen Deutschland bzw. Europa
und den Herkunftsgesellschaften sowie deren translokalen und transnationalen
Verflechtungen soll ermöglichen, die soziale und historische
Bedingtheit des europäischen Umgangs mit muslimischen Minderheiten
zu erkennen. Er soll möglichst eine gegenseitige Öffnung
für Erfahrungen – nicht nur zwischen europäischen
Ländern sondern auch aus nichteuropäischen Gesellschaften
– bei der Partizipation von religiösen Lebensentwürfen
der muslimischen Minderheiten bewirken. In Ländern wie Indien
oder Südafrika bestehen lange Erfahrungen in der Gestaltung
des Zusammenlebens zwischen muslimischer Minderheit und Mehrheitsgesellschaft,
das trotz konflikthafter und auch gewaltträchtiger Aspekte
in historischer Perspektive weitgehend stabil und friedlich verläuft.
Dabei verhandelte institutionelle Sonderregelungen zum religiösen
Bildungswesen, zum Familien- und Personenrecht wirken auch nach
Europa hinein. Dabei sollten aus europäischer Sicht sowohl
die wechselseitigen Einflussnahmen als auch die institutionellen
und diskursiven Erfahrungen von Interesse sein.
Im Sinne dieses Perspektivwechsels ermöglichen die Studien
unter dem Gesichtspunkt von religiöskultureller Vielfalt
eine differenzierte Betrachtung der europäischen Identität
aus verschiedenen Blickwinkeln:
- So werden muslimische Akteure in ihrer Interaktion mit der
deutschen Gesellschaft bzw. mit anderen ausgewählten europäischen
Ländern (Großbritannien, Frankreich, Spanien, Niederland)
analysiert.
- Zugleich wird der Blick auf Länder Asiens und Afrikas
gelenkt (Indien, Pakistan, Ägypten, Syrien, Türkei,
Südafrika), aus denen die muslimischen Akteure nach Europa
hineinwirken und umgekehrt.
- Des weiteren werden Kontexte untersucht, die sich ähnlichen
Herausforderungen im Umgang mit muslimischen Minderheiten (Südafrika,
Indien) bzw. mit Minderheiten im Islam (Ahmadiyya – Pakistan,
Indien) gegenübersehen.
- Im Querschnitt dazu werden die zunehmenden translokalen und
transnationalen Verflechtungen islamischer Gruppen und Institutionen
in Europa und darüber hinaus thematisiert (Tablīghī
Jamā'at, Daw'āti Islāmī, Ahmadiyya, Milli
Görüş, Muslimbrüder/UOIF).
Diese Art der Perspektivenvielfalt und ihrer Synthetisierungen
ist sowohl in der Forschung in Deutschland als auch international
innovativ. Hiermit wird die bisher dominierende Forschungsperspektive
einer deutsch-europäischen Binnensicht auf muslimische Migranten
und Minderheiten konstruktiv ergänzt.
Die übergreifenden Fragestellungen des Projektes leiten
sich daraus ab, dass die untersuchten Gruppen und Einrichtungen
bestrebt sind, ihre dezidiert religiösen Lebensentwürfe
in die europäischen Gesellschaften einzubringen. Das Projekt
will die unterschiedlichen sozialen, kulturellen und religiösen
Formen dieser Aktivitäten problematisieren, analysieren und
dokumentieren und dabei nach den Wegen und Möglichkeiten
ihrer Einbindungen in die moderne Gesellschaft fragen. Dies soll
besonders durch eine akteurszentrierte Betrachtungsweise gefördert
werden. Im Verlaufe der Untersuchung wäre zu klären,
- auf welchen Wegen die betrachteten islamischen Gruppen und
Institutionen zu einem Bestandteil der europäisch-westlich
geprägten Moderne werden wollen;
- welche eigenen Projekte und Konzepte sie für diese Integration
verfolgen;
- wie diese Projekte bisher in der europäischen Gesellschaft
verortet sind und durch diese beeinflusst werden;
- wie die islamischen Akteure durch die Verbindungen zu Gesellschaften
in Asien und Afrika in ihrem Denken und Handeln geprägt
werden;
- in welchem Maße politische, religiöse und soziale
Befindlichkeiten in Asien und Afrika, wie die Tagespolitik oder
Krisenerscheinungen, die Aktivitäten der Akteure modifizieren;
- welche Rolle bei dieser Verortung translokale und transnationale
Verbindungen dieser Gruppen und Institutionen spielen;
- wie Diskurse, Vorbilder, Modelle von Asien und Afrika nach
Europa und umgekehrt „wandern“ und sich dabei verändern.
Die gemeinsamen Zielsetzungen des Projektes liegen somit darin,
- Vorstellungen und Vorhaben religiös orientierter muslimischer
Akteure auf dem Weg in die europäische Moderne aufzuzeigen
und zu beschreiben;
- die Problemlage in diesem Prozess zu artikulieren und zu
differenzieren;
- der Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsträgern
zu ermöglichen, sich ein genaueres Bild dieser Akteure
an der Schnittstelle europäischer Gesellschaften und religiös-islamischer
Lebensentwürfe zu machen, Vorbehalte abzubauen, Anknüpfungspunke
aufzuzeigen, sie für Chancen und Risiken dieser Entwicklung
zu sensibilisieren;
- zu einem erweiterten Verständnis Europas beizutragen
und Möglichkeiten und Formen aufzuzeigen, wie die soziale,
kulturelle und religiöse Vielfalt Europas in Verbindung
mit den beteiligten Gesellschaften in Asien und Afrika im Interesse
des Einzelnen und der Gemeinschaft aktiv gelebt werden kann.
Forschungsstand
In seinem interdisziplinären und translokalen Ansatz ist
das Projekt an der Schnittstelle verschiedener Diskurse situiert,
die es unterschiedlich gewichtet. Hier soll besonders auf neuere
Werke und referierende Veröffentlichungen aufmerksam gemacht
werden. Vom Untersuchungsgegenstand her knüpft es an die
Literatur zu muslimischen Minderheiten und Migranten an, wobei
dieses Projekt sie jedoch nicht nur als handelnde Individuen oder
als undifferenzierte Religionsgemeinschaft betrachtet, sondern
auch als kollektive Akteure und dadurch um wichtige Studien bereichert.
Theoretisch-methodisch greift das Projekt auf den Forschungsdiskurs
über die Differenzierung der Moderne, die Forschung zum Kulturtransfer
sowie die Transnationalismus- und Translokalitätsforschung
zurück. Dies lässt nicht nur angesichts zunehmender
globaler Vernetzung von muslimischen Minderheiten und Organisationen
zusätzliche Erkenntnisse erwarten. Auch aus praktischen politischen
Gründen scheint es empfehlenswert, den Blick zusätzlich
auf jene Regionen der Welt zu werfen, mit denen sie verbunden
sind. So wäre besser zu verstehen, welche unterschiedlichen
Einflüsse Muslime in Europa aufnehmen und wie sie sie verarbeiten,
aber auch, wie dort mit der Minderheitenfrage und religiösem
Pluralismus umgegangen wurde und wird. Dadurch ließen sich
in Europa Problemstellungen differenzieren und Lösungsansätze
bereichern.
Darüber hinaus schöpft jedes Teilprojekt aus dem spezifischen
Kenntnisstand zu seiner Untersuchungsgruppe bzw. –institution.
Die umfangreiche Forschung zu Muslimen in Deutschland und Europa
hat in den letzten Jahrzehnten mehrere Wandlungsprozesse durchlaufen.
Zentral für das Verbundprojekt wäre dabei festzuhalten,
dass die Forschung zum Islam in Europa seit jeher stark von dem
Blick auf die Herkunftsländer der Muslime geprägt war,
dass Fragen der inneren Sicherheit dominierten, dass die Selbstorganisation
von Muslimen hinsichtlich ihrer sozialen Integration in die europäischen
Gesellschaften zumeist kritisch gesehen wurde und schließlich
dass muslimische Religiosität erst seit den neunziger Jahren
(siehe dazu den Forschungsüberblick von Worbs/ Heckmann 2003)
stärker untersucht wird. Dies gilt vor allem für Deutschland,
in unterschiedlicher Intensität jedoch auch für andere
europäische Staaten.
Mit den Arbeiten von u.a. Ëen/Aydïn (2002), Spuler-Stegemann
(2002, 1998), Abdullah (1993, 1981) und Heine (1997) liegen bereits
etliche Überblickswerke zum Islam in Deutschland vor, die
sich für eine generelle Einführung in das Thema eignen.
Die Studien von Feind-Riggers / Steinbach (1997), Amiraux (2001)
und Lemmen (2001, 2002) geben einen Einblick in Entstehung, Entwicklung
und Ziele islamischer Organisationen in Deutschland. Ein wesentlicher
Teil der Wissensproduktion über den Islam in Deutschland
entsteht von Vertretern christlicher Kirchen (Dehn 2005; Dahling-Sander
2003; FES 2001; Deutsche Bischofskonferenz 1982). Gegenstand dieser
Abhandlungen sind nicht allein theologische Aspekte des interreligiösen
Dialogs, sondern auch generellere Fragestellungen, die das Zusammenleben
verschiedener Kulturen betreffen.
Zunehmend rücken die verschiedenen politischen Dimensionen
des Umgangs mit Muslimen in den Mittelpunkt. Ein wachsender Teil
der Literatur handelt diese unter den Stichworten des „Islamismus“
bzw. „Fundamentalismus“ ab (BMI 2003; Barth 2003;
Bielefeldt/Heitmeyer 1998; Heitmeyer u.a. 1997; Tibi 2001; 2002;
Spuler-Stegemann 2002). Damit ist jedoch häufig eine gewisse
Verengung der Untersuchung wie auch der Argumentation verbunden.
Öffentliche Aktivitäten von Muslimen werden unter diesem
Gesichtspunkt oft als potentielle Bedrohung wahrgenommen. Diese
Perspektive erschwert nicht nur die Integration in der politischen
und gesellschaftlichen Praxis, sondern sie kann auch die Forschungsbefunde
beeinträchtigen. Zudem wird dabei übersehen, dass Islamismus
als religiöser Aktivismus im öffentlichen Raum nicht
nur eine politische, sondern auch kontemplative, religionsorientierte
oder soziale Dimensionen hat (vgl. Reetz 2004a). Praktische Aspekte
der politischen und sozialen Integration von Muslimen gewinnen
an Bedeutung. Sie beschäftigen verstärkt die Bundesregierung
(Deutscher Bundestag 2004, 2000; BMA 2002). Rechtliche Probleme
der öffentlichen Artikulation von Religion betreffen in Deutschland
besonders muslimische Forderungen nach islamischem Religionsunterricht,
die bereits in verschiedenen Modellprojekten umgesetzt werden
(Häußler 2000; Bauer 2004). Die Polarisierung der öffentlichen
Meinung zum Umgang mit Muslimen, wie sie jetzt erst kürzlich
in den Niederlanden zu beobachten war, geht jedoch an Deutschland
nicht spurlos vorüber. Rechte und christlich-fundamentalistische
Kräfte machen auch hier gegen Muslime mobil (Lachmann 2005;
Schröter 2003; Ulfkotte 2003).
Darüber hinaus schließt das Projekt an die Forschung
zum Islam in Europa an. Sie verfolgt seit längerem die Frage,
ob es zur Entstehung eines „europäischen Islams“
kommt und wie dieser aussehen könnte (Leggewie 2004; al-Sayyad/
Castells 2002; Tibi 2002, 2001; Leveau u.a. 2001; Ramadan 2001,
1999; Roy 2002, 1998; Babès 1997; Saint-Blancat 1997, 1993).
Hier wären vor allem zwei Ansätze zu unterscheiden.
Der eine, normativ geprägte Ansatz betont vor allem die liberal-demokratische
Natur westeuropäischer Gesellschaften und sieht darin die
Ursache für grundlegende Veränderungen muslimischer
Diskurse und Praktiken (Tibi 2001, 2002; Motchane 1999 / 2000).
Der andere, empirisch orientierte Ansatz hat sich zunächst
in Frankreich durchgesetzt, scheint nun aber auch in anderen europäischen
Ländern an Popularität zu gewinnen (vgl. Babès
1997; Saint-Blancat 1997; Roy 1998; 2002; Mandaville 2001). Er
hebt das konstruktive Potential der täglichen Erfahrungen
des Lebens von Muslimen in westeuropäischen Gesellschaften
hervor, das eine Differenzierung, Pluralisierung und letztendlich
auch Individualisierung von Lebensformen unter Muslimen –
auch religiöser Orientierung – vorantreiben kann.
Mehrere Untersuchungen widmen sich der vergleichenden Betrachtung
des Themas für ausgewählte westeuropäische Länder
(Anwar/ Blaschke/ Sander 2004; Birsl/ Bitzan/ Sole 2003; Escudier/Sauzay/von
Thadden 2003; Buijs/Rath 2002; Bistolfi/Zabbal 1995). Sie tragen
eher Überblickscharakter. Nur sehr vereinzelt wird eine gezielt
vergleichende Perspektive bzw. eine gemeinsame Fragestellung verfolgt
(v.a. Dassetto/ Marechal/ Nielsen 2002).
Zunehmend treten auch Fragen der Institutionalisierung des Islam
in europäischen Kontexten und damit verbundene rechtliche
Probleme und Regelungen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses
(Oebbecke 2003; Ferrari 2003; Davy 2001; Rohe 2000; Joppke 1999;
Boyer 1998, 1993; Hagemann/ Khoury 1997; Shadid/ Van Konigsveld
1996). Einige dieser Untersuchungen nehmen auch eine vergleichende
bzw. transnationale Forschungsperspektive ein (z.B. de Galembert
2001; Koenig 2003), konzentrieren sich dabei allerdings auf nationalstaatliche
bzw. supranationale Institutionen und lassen die Perspektive muslimischer
Akteure weitgehend unberücksichtigt.
Untersuchungen über Einflüsse der „Herkunftsgesellschaften“
auf Muslimische Akteure in Europa sowie deren translokale Verknüpfungen
beschränken sich bisher auf einige, vorwiegend als „problematisch“
angesehene Fälle, wie die Milli Görüş oder
„Ablegerorganisation“ der Muslimbrüder. Sie werden
meist statisch und polarisierend abgehandelt (Venner 2005; Spuler-Stegemann
2002; Tibi 2001, 2002; Kepel 1994). Wegen der Konzentration auf
sicherheitsproblematische Aspekte wird vernachlässigt, in
welchem Maße auch solche scheinbar inkompatiblen Bewegungen
mit den Normen der westeuropäischen Gesellschaft vereinbar
sein könnten. Einen ersten Anfang machen Studien wie die
von Göle/Ammann (2004), die sich bewusst dem aktiven Auftreten
von islamischen Bewegungen und Muslimen in der europäischen
Öffentlichkeit in Verbindung mit den Ursprungsgesellschaften
zuwendet. Dort werden allerdings die türkischen und iranischen
Fallbeispiele nicht systematisch mit jenen aus Westeuropa in Verbindung
gebracht. Im vorliegenden Projekt soll die Perspektive geweitet
und dynamisiert werden, um auf den beständigen Austausch
zwischen den verschiedenen Bezugsräumen aufmerksam zu machen.
Dabei gilt es vor allem, das Veränderungspotential dieser
Verknüpfungen zu zeigen (Mandaville 2001).
Vor allem die politisch orientierten Untersuchungen, aber auch
die zum „Euro-Islam“ werfen die implizite Frage auf,
wer zu Europa gehört und wer nicht. Eine einfache Gegenüberstellung
von Ein- und Ausschluß kann diese jedoch offenbar nicht
beantworten, vor allem für religiös orientierte Muslime.
Daher will das Verbundprojekt diese Problmatik stärker differenzieren.
Es wird fragen, ob nur „modernistische“ Konzepte zu
diesem europäischen Islam gehören, und welche Rolle
dezidiert religiöse Projekte darin spielen könnten.
Das bringt das Verhältnis von islamischen Bewegungen zur
Moderne ins Spiel, insbesondere im Hinblick auf damit verbundene
Säkularisierungstheoreme.
Daher setzt sich das Projekt auch mit dem Forschungsdiskurs
über die Differenzierung der Moderne auseinander (Azmeh 1996;
Asad 2003; Höfert/Salvatore 2000; Salvatore 1997). Zwar gibt
es bisher zunehmenden Konsens darüber, diesen Prozess in
seiner Heterogenität und Problemhaftigkeit zu betrachten.
Aber der Stellenwert religiös verorteter Projekte, Akteure
und Institutionen in der Moderne bleibt weitgehend vage. Wenn
die Frage als Alternative gestellt wird, ob Muslime in Europa
eine Modernisierung des Islam anstreben oder eine Islamisierung
der Moderne, scheinen Formen religiöser Lebensweise in einem
modernen Europa keinen Platz zu haben (Césari 2004). Interessante
Impulse bieten in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Shmuel
Eisenstadt (2000; 1998), der den Begriff der „multiple modernities“
geprägt hat. Dieser Ansatz könnte dazu beitragen, das
Konzept der Moderne für nichtwestliche Lebensformen und Projekte
zu öffnen. Autoren wie Nilüfer Göle, die Eisenstadt’s
Theorie auf islamistische Bewegungen (z.B. in der Türkei)
angewandt haben (2000), sprechen hier von einer „islamischen
Moderne“. Neuere, soziologisch orientierte Studien scheinen
dieses Argument zu unterstützen, indem sie die Einpassung
von Muslimen in die europäische Moderne bejahen (vgl. die
Literaturstudie Buijs/Rath 2002, sowie u.a. Twardella 2004; Hüttermann
2002; Nökel 2002; Frese 2002; Tietze 2001; Klinkhammer 2000;
Schiffauer 2000). Diese Arbeiten gehen überwiegend von individuellen
Handlungsstrategien aus (vgl. Buijs und Rath 2002; Tezcan 2003).
Prozesse wie Individualisierung oder die Säkularisierung
religiöser Bezüge werden als kompatibel mit westlichen
Lebensformen erachtet (vgl. u.a. Saint-Blancat 1997; Césari
2004; Tietze 2001).
Diese Autoren neigen jedoch trotz ihres innovativen Ansatzes
dazu, mit ihrer Fokussierung auf die Herausbildung individueller
muslimischer Identitäten die beobachtbaren Tendenzen der
Organisations- und Gemeinschaftsbildung innerhalb des islamischen
Feldes in Europa zu unterschätzen. Islamische Organisationen
haben sich jedoch als fähig erwiesen, Mitglieder zu mobilisieren,
stabile Zugehörigkeit auszubilden und mithin als kollektive
Akteure im Kampf um Anerkennung in der Mehrheitsgesellschaft aufzutreten
(vgl. Seufert 1999; Schiffauer 2000; Tezcan 2002). Hier würde
das vorgeschlagene Verbundprojekt ansetzen. Es wäre insofern
auch innovativ, als es über die personalisierten und individuellen
Formen von Religiosität hinausgeht und sich konsequent mit
kollektiven Akteuren und ihren religiösen Projekten beschäftigt.
Einen systematischen Zugang zu organisierten Formen des Islam
in europäischen Kontexten unter sozialwissenschaftlichen
Fragestellungen und mit qualitativen Methoden haben vor allem
in Deutschland bislang nur wenige Autoren verfolgt (vgl. Amiraux
2001; Schiffauer 2000 und 2004; Jonker 2002). Hier lenkt das Verbundprojekt
einen systematischen Blick auf die Etablierung bzw. den Wandel
religiöser Autoritäten in Europa, besonders auch im
Vergleich zu Entwicklungen in islamisch geprägten (bzw. nicht-europäischen)
Kontexten Asiens und Afrikas (vgl. Cohen u.a. 2004; Gaborieau/
Zeghal 2004). Zudem soll es bei dem Verbundprojekt nicht allein
darum gehen, den Islam auf seine Kapazität hin zu untersuchen,
sich in moderne westeuropäische Gesellschaften einzufügen.
Vielmehr ist auch von Interesse, diese Gesellschaften auf ihr
Potential und ihre Erfahrungen hin zu untersuchen, religiös-kulturelle
Pluralisierung als einen integralen Bestandteil zu akzeptieren
und entsprechend auf die von muslimischen Akteuren initiierten
neuen sozialen Räume zu reagieren (vgl. Asad 1997). Darüber
hinaus bemüht sich das Projekt darum, die verschiedenen Perspektiven
– muslimische Diaspora, europäische Aufnahme- und asiatische
bzw. afrikanische Herkunftsgesellschaften – zueinander in
Bezug zu setzen und daraus konkrete Vorschläge für den
Umgang mit religiöser Vielfalt abzuleiten.
Eine weitere Perspektive auf die Verankerung islamischer Projekte
in Europa und im Westen bieten die Forschungen zum Kulturtransfer,
zur Hybridität und zum Synkretismus. Sie betrachten die religiösen
Projekte in hohem Maße als Ergebnis ethnischer und kultureller
Normen und folglich deren Einbindung in Europa als Formen der
kulturellen Synthese, Verbindung oder Absonderung. Die Kulturtransferforschung
wurde – für Frankreich und Deutschland - besonders
von den Geschichtswissenschaften betrieben und theoretisch begründet
(Middell 2005, Espagne 1999). Untersuchungen der Sozialanthropologie
zu Hybridität und zum Synkretismus von religiös und
kulturell heterogenen Gesellschaften beziehen sich häufig
auf Großbritannien und die USA (Werbner/Modood 1997a, 1997b;
Young 1995; Pieterse 1995; Stewart und Shaw 1994). Das Verbundprojekt
würde hier insofern etwas neues leisten, als sich die Konzepte
von Hybridität und Synkretismus nur bedingt als fähig
erwiesen haben, neuere Phänomene des Zusammenlebens verschiedener
Religionen und Kulturen zu erklären. Sie greifen besonders
da zu kurz, wo scheinbar keine unmittelbare oder dauerhafte Verbindung
verschiedener Formen entsteht, wo beispielsweise Akteure und ihre
Projekte auf kulturell-religiöse Absonderung oder Rückbesinnung
setzen, während sie dennoch den Austausch mit der Aufnahmegesellschaft
praktizieren. Darüber hinaus neigen diese Ansätze dazu,
den Faktor der Macht zu übersehen, der jedoch für den
Migrationskontext von großer Bedeutung ist, v.a. wenn es
um die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die „Aufnahmegesellschaft“
geht. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die meisten Ansätze
dieser Art (o. der allgemeinen postkolonialen Theorie) den Faktor
„Religion“ vor allem im öffentlichen Sinne nicht
ausreichend berücksichtigen bzw. voreilig als „fundamentalistisch“
und entsprechend als nicht hybridisierbar zurückweisen. Daher
soll hier eher den Ansätzen von Arjun Appadurai (1996) und
Homi Bhabha (1994) gefolgt werden, die in den Zeiten der Globalisierung
auf „Zwischenräume“ aufmerksam machen, die durch
den intensivierten Kulturkontakt entstehen. Akteure vereinbaren
offenbar in ihrer Person unterschiedliche Handlungsstrategien,
die sie situationsbedingt sortieren und die von traditionalen
Haltungen bis zum modernistisch-technizistischen Herangehen reichen.
Als Migranten, auch der Folgegenerationen, nehmen sie in der „Aufnahmegesellschaft“
ausgedehnte Aushandlungszonen für sich in Anspruch, die es
ihnen ermöglichen, zwischen verschiedenen Haltungen zu oszillieren
(vgl. Schiffauer 1997 und 2004). Dabei entwickeln und konstruieren
sie auch kulturelle und religiöse „Reinformen“,
für die sie zwar den Anspruch ritueller und kultureller Reinheit
erheben, die sich aber tatsächlich aus verschiedenen Quellen
ihrer eigenen Gemeinschaften wie auch der gesamtgesellschaftlichen
speisen.
Die erhöhte Mobilität muslimischer Migrantengruppen,
die sich sowohl auf geistige und ökonomisch-materielle, als
auch auf politische, soziale und religiöse Ebenen erstreckt,
führt zu einer zunehmenden Verknüpfung ihrer Genese
und Aktivitäten über tatsächliche und gedachte
Grenzen hinweg (Allievi/Nielsen 2003; al-Ali/Koser 2002; Faist
2000; Leveau/Ruf 1991; Eickelman/Piscatori 1990). Das Ergebnis
ist eine zunehmende und anhaltende Durchbrechung der Binarität
von Aufnahme- und Ursprungsgesellschaft. Deshalb nimmt das Projekt
an dieser Stelle die Untersuchungen zur translokalen Forschungsperspektive
auf (vgl. hier auch Forschungen am ZMO, dazu Freitag/von Oppen
2005). Diese geht auf den „spatial turn“ in den Geistes-
und Kulturwissenschaften zurück, der in Zeiten der Globalisierung
die Zusammenhänge und Verbindungen zwischen den Entwicklungen
in verschiedenen Regionen der Welt thematisiert. Europa wird hier
im Sinne transnationaler Grenzüberschreitung nicht nur als
Sonderfall begriffen, sondern zugleich als ein Regelfall neben
anderen. Europa und europäische Identität werden in
diesem Sinne nicht als geschlossenes Projekt verstanden, sondern
als offenes Ergebnis innerer und äußerer Prozesse.
Verschiedene Disziplinen machen sich zunehmend eine „translokale“
oder „transnationale“ Forschungsperspektive zu Eigen.
In der Anthropologie wurden die Besonderheiten der transnationalen
Migration seit den 90er Jahren näher betrachtet. Damit waren
die grenzüberschreitenden Prozesse von Migranten gemeint,
deren soziale Beziehungen und Praktiken mindestens zwei oder mehrere
Staaten verbanden und im Kontext der Globalisierung eine neuartige
Intensität entfalten konnten. Auch in der Forschung zum Islam
spielt die zunehmende Mobilität muslimischer Akteure eine
besondere Rolle, u.a. bei Vertovec (2002) und Mandaville (1999,
2001).
Vor allem in der deutschen Forschung (aber auch z.B. in Frankreich)
wurde Transnationalität religiöser Bindungen von Muslimen
vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des „Imports eines politischen“
Islam nach Europa behandelt. Verschiedene Autoren bewerten dies
als Integrationshindernis (vgl. Spuler-Stegemann 2002; Tibi 2001,
2002; Kepel 1994; Sfeir 1997). In der eher theoretisch und migrationssoziologisch
orientierten „Transnationalismus-Forschung“ hingegen
blieb die Kategorie „Religion“ lange Zeit weitgehend
unterbewertet (Faist 2000).
Die „Islamforschung“ hebt vor allem in jüngerer
Zeit eher das innovative und reformatorische Potential transnationaler
Beziehungen von Muslimen in Europa hervor (vgl. Amiraux 2001;
Mandaville 2001; Trautner 2000; Allievi 2003). Während diese
Formen der Transnationalität vorwiegend unter Berücksichtigung
von Medien und Kommunikation sowie hinsichtlich der Herausbildung
muslimischer Öffentlichkeiten analysiert wurden, blieben
andere Komponenten wie der Transfer von islamischem Wissen bzw.
islamischen Traditionen im weiteren Sinne weitgehend unberücksichtigt.
Auch eine systematische Auseinandersetzung der Entwicklungen in
nicht-europäischen Kontexten, zusammengeführt mit Entwicklungen
innerhalb Europas scheint bislang zu fehlen. Eine Ausnahme bildet
das gegenwärtig am ZMO durchgeführte Projekt zum „Transkulturellen
Transfer islamischen Wissens“ hinsichtlich Süd- und
Südostasiens (vgl. Reetz 2005c). Dabei ist noch unklar, ob
zunehmende transnationale Verbindungen im Islam zu einer „Essentialisierung“
des Islam beitragen, oder auch zu einer Differenzierung und damit
größeren Spielräumen für lokale Interpretationen
führen können. Dass letztere Entwicklung „integrationsfördernd“
sein kann, belegen für die Geschlechterbeziehungen Salvatore/Amir-Moazami
(2002), Amir-Moazami/Salvatore (2003) und Jouili/Tietze 2005.
Das Verbundprojekt wendet die transnationale und translokale
Betrachtungsweise auf den Umgang mit muslimischen Migranten und
Minderheitengruppen an. Muslime sollen nicht nur aus der binären
Sicht der Mehrheitsgesellschaft und der jeweiligen Minderheit
betrachtet werden, sondern aus dem Zusammenhang der verschiedenen
beteiligten Gesellschaften und Kulturen. Diese unterschiedlichen
Positionen und Verknüpfungen werden in der Zeit grenzüberschreitender
Diskurse und Aktivitäten auch zunehmend wechselseitig vermittelt
und reflektiert.
Zugleich ist dies ein Versuch, die muslimischen Einwanderer
und deren Nachfolgegenerationen als eigenständige Akteure
zu begreifen und die fortbestehenden Bindungen an ihre Ursprungsländer
nicht nur als „Problem“ sondern als möglichen
Teil einer Lösung von Konflikten und Spannungen zu sehen.
Dabei finden sowohl Vertreter der Migranten und Minderheiten Berücksichtigung,
die sich bewusst in die Mehrheitsgesellschaft integrieren, aber
gleichzeitig ihre kulturelle und religiösen Bezüge zum
Islam nicht aufgeben wollen, als auch Migranten, die ihren Aufenthalt
in Europa als zeitlich begrenzt und vorübergehend auffassen.
Diese Form des interkulturellen Vergleichs ist darauf gerichtet,
den Charakter des Europäischen zu überdenken und einen
offenen, nicht exklusiven, sondern inklusiven Umgang mit „den
anderen“ zu konzipieren.
Um eine solche Öffnung zu erreichen, müssen die Begriffe
und bisherigen Konzepte, die zur Beschreibung des Islam und der
Muslime in Europa verwendet werden, sorgfältig überdacht
werden. Sie sind nicht alleine Instrumente zur objektiven Beschreibung
der Situation von Muslimen in Europa, sondern greifen in die Wirklichkeit
ein. Dies gilt vor allem für die Begriffe Migranten, Aufnahmegesellschaft,
Folgegeneration, Diaspora oder Minderheiten. So wurde in der Forschung
zum Islam in Europa in den 90er Jahren vom „Islam transplanté“
und dem „Islam der Diaspora“ (Saint-Blancat 1993,
1997) gesprochen, der bruchlos von der Herkunftsgesellschaft nach
Europa transplantiert worden sei. Der Begriff der Diaspora, der
zunächst auf die Fremdheit des Islam in Europa weist, mag
aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaften noch stimmig sein,
für viele Muslime, die in Europa geboren wurden bzw. konvertiert
sind, ist er es jedoch nicht. Ähnlich verhält es sich
mit den Begriffen Migranten, Folgegeneration und Aufnahmegesellschaft.
Der analytische Blick entlang durchaus objektiver nachprüfbarer
Kriterien schreibt die Akteure auf eine bestimmte Identität
fest. Doch muß man hinterfragen wie lange man von Migranten
sprechen kann, wenn die Akteure vielleicht nie ihren Geburtsort
in Europa verlassen haben. Wie lange kann man von der ersten,
zweiten, dritten oder vierten Folgegeneration sprechen, ohne damit
dauerhaft zugewanderte Menschen und ihre Nachkommen aus den europäischen
„Aufnahmegesellschaften“ auszuschließen? Und
werden aus den Migranten dann automatisch Minderheiten? Im Bewußtsein
dieser Problematik und unter der Maßgabe einen Beitrag zur
Erforschung der sozialen und kulturellen Bestimmungen Europas
zu leisten, wird die verwendete Terminologie reflektiert. Im Allgemeinen
wird der Begriff Muslime verwendet. Nur wenn es sich tatsächlich
um Migranten handelt, werden sie auch als solche benannt. Die
Begriffe Herkunftsgesellschaft, Folgegeneration sind als analytische
Begriffe nicht zu umgehen, als Gegenstück zur Herkunftsgesellschaft
wird in dem Projekt der Begriff der Aufnahmegesellschaft verwendet.
Sie werden jedoch hier vor allem funktional gebraucht, um die
Verflechtungen untereinander und mit den Gesellschaften Asiens
und Afrikas zu verdeutlichen, nicht als Konzepte ihrer Identitäten
und Handlungen. Unter Islamismus sollen religiös orientierte
Aktivitäten im öffentlichen Raum verstanden werden,
die sowohl politische, wie auch soziale, kulturelle Konotationen
haben können. Der Begriff des Fundamentalismus wird als einengend
und polemisch angesehen, der analytische Zusammenhänge eher
verschleiert als klärt. Dort, wo radikale oder militante
Strömungen und Auslegungen zu beobachten sind, werden sie
auch als solche benannt, im Sinne einer reduktionistischen, ideologischen
Interpretation des Islam bzw. einer militanten Instrumentalisierung.
Kooperationen
Die Koordinierung des Projektes wird am ZMO durchgeführt.
Die inhaltliche Zusammenarbeit wird durch vierteljährliche
Projektbesprechungen sowie gemeinsame Workshops und Konferenzen
strukturiert.
Der erste Workshop der Projektteilnehmer zu Beginn wird sich
ausführlich der Planung des Verbundprojektes, Methoden und
der Medienarbeit widmen. Nach der Hälfte der Laufzeit wird
ein Workshop Bilanz ziehen und dabei insbesondere die Erfahrungen
mit der Feldforschung auswerten. Zwei inhaltliche Veranstaltungen
zum Ende hin sollen die Möglichkeit geben, die Ergebnisse
zu dokumentieren: ein Workshop wird sich unter dem Thema „National-transnational:
Islamistische Bewegungen in Europa und der Islamischen Welt“
mit den translokalen und transnationalen Aspekten der Netzwerkaktivitäten
der untersuchten islamischen Gruppen und Institutionen befassen.
Eine abschließende Konferenz zum Thema „Muslimische
Minderheiten und Europa: Religiöse Lebensentwürfe und
Institutionen im Vergleich“ soll die Ergebnisse des Verbundprojektes
synthetisieren und Empfehlungen für die Öffentlichkeit
und die Politik zum Umgang mit religiösen islamischen Projekten
in Europa formulieren. Diese wird auch die Grundlage der vorgesehenen
Abschlussveröffentlichung des Projektes bilden.
Das Verbundprojekt wird eng mit den beteiligten Verbundinstitutionen
kooperieren. Das betrifft
Darüber hinaus ist beabsichtigt, mit folgenden Wissenschaftlern
und Institutionen zu kooperieren:
- in Bezug auf Arbeiten zum Islam in Südasien mit dem
Lehrstuhl für Islamwissenschaft (Prof. Jamal Malik), Universität
Erfurt; dem Lehrstuhl für nichtarabischen Islam (Prof.
Peter Heine) an der Humboldt-Universität;
- in Bezug auf Arbeiten zum Islam in Europa mit dem Institute
for the Study of Islam in the Modern World (ISIM), in Leiden,
Niederlande, (Prof. Martin van Bruinessen); dem Centre interdisciplinaire
d'études de l'islam dans le monde contemporain Louvain-la-Neuve
(Belgien) (Prof. Felice Dassetto und Brigitte Maréchal
M.A.);
- in Bezug auf Arbeiten zum Islam in der Türkei, Südafrika,
mit der Bogazici Universität, Istanbul (Prof. Haldun Gulalp);
mit der EHESS, Paris, Prof. Nilüfer Göle; mit dem
Lehrstuhl für Islamwissenschaft an der Universität
von Johannesburg (Prof. van Rensburg); mit dem Centre for Contemporary
Islam (Prof. Abdulkader Tayob) an der Universität Kapstadt.
Forschungsdesign
Der inhaltliche Zusammenhalt der Teilprojekte wird durch das
Rahmenprojekt und die entsprechenden Zielstellungen gewährleistet.
Bei den beabsichtigten Fallstudien handelt es sich um exemplarische
Untersuchungen, da die Teilprojekte sich zu einander und zum Rahmenprojekt
nicht hierarchisch sondern komplementär verhalten. Qualitative
Studien können nur Trendabschätzungen leisten und für
erweiterte Aussagen zueinander sowie zu den konzeptionellen Vorstellungen
ins Verhältnis gesetzt werden. Den Teilprojekten gemeinsam
ist, dass sich die Autoren um einen interdisziplinären Zugang
zu den Akteuren und Repräsentanten dieser Gruppen bemühen.
Sie hinterfragen die stereotypen normativen Annahmen, die häufig
der Analyse religiöser Projekte im Islam zugrunde lagen.
Es wird davon ausgegangen, dass sich neue Vergesellschaftungsformen
des Islam in Europa in einem wechselseitigen Prozess zwischen
Muslimen und „Aufnahmegesellschaften“ herausbilden.
Gerade der durch den Verbundcharakter des Gesamtprojekts ermöglichte
innereuropäische Vergleich, verbunden mit der Rückkopplung
an die „Herkunftsgesellschaften“ soll dazu beitragen,
die interne Vielfalt der politischen Kulturen innerhalb Europas
zu beleuchten und sie in ein dynamisches Verhältnis zu islamisch
geprägten Kulturen in Asien und Afrika zu setzen.
Zugleich weisen die Teilprojekte auch auf der Ebene der Untersuchungsgruppen
und Institutionen vielfältige Verbindungen auf:
- Mehrere Teilprojekte befassen mit islamischen Bildungsinstitutionen,
den Lehrern dort und den Schülern. Peter,
Kamp und Niehaus
untersuchen unmittelbar islamische Schulen und Institute, die
religiöse Grund- oder Weiterbildung vermitteln. Doch auch
die in den Projekten Reetz/Gugler
und Lathan untersuchten islamischen
Gruppen (Tablīghī Jamā'at, Da'wat-i Islāmī,
Ahmadiyya) sehen es als eine ihrer Hauptaufgaben an, religiöse
Bildung auf formalisierte Weise zu vermitteln. Dabei müssen
sie sich alle mit dem europäischen/westlichen Kontext und
seinen Anforderungen auseinandersetzen, insbesondere damit,
wie man den Islam in einem Umfeld vermittelt, dass aus der Sicht
dieser Gruppen durch Materialismus, Atheismus, Laizismus oder
Säkularismus geprägt ist. Zugleich entsteht aus der
Sicht der Mehrheitsgesellschaft die übergreifende Frage,
welche Ausbildung Lehrer an islamischen Schulen brauchen, um
in Richtung Dialog und Partizipation zu wirken und eine Abkopplung
der Minderheit zu verhindern.
- Alle Teilprojekte behandeln unter komplementären Fragestellungen
islamische aktivistische Gruppen, die es sich zur Aufgabe gestellt
haben, die Belange der Religion in den öffentlichen Raum
zu tragen und dafür Anhänger zu mobilisieren. Sie
gehen von einem bestimmten Krisenbefund über den Zustand
der Religiosität und religiöser Praxis, wie auch des
religiösen Wissens unter Muslimen aus, einen Mangel, den
sie in Weiterführung der reformislamischen Tradition beheben
wollen.
- Eine wichtige Gemeinsamkeit besteht darin, dass alle islamischen
Gruppen und Institutionen, die hier untersucht werden, ihre
Aktivitäten auch als Missionierung (dawþa), als neue
oder erneuerte Formen und Möglichkeiten zur Stärkung
und Ausbreitung religiöser Lebensweise und des Islam insgesamt
begreifen.
- Die Auseinandersetzung mit Normen eines europäischen
bzw. „modernen“ Islam spielt ebenfalls in allen
Teilprojekten eine Rolle. Interessante Vergleichsperspektiven
ergeben sich beispielsweise zwischen den Projekten Peter
und Reetz/Gugler in Hinblick
auf die Perzeption des europäischen Kontextes durch Tablīghī
Jamā'at und Da'wat-i Islāmī einerseits
und islamistischen Gruppierungen in Frankreich andererseits.
Gegenwärtig werden in der Literatur vor allem die nicht
zu bestreitenden Unterschieden zwischen diesen beiden Gruppierungen
betont. Die Frage, ob und inwieweit diese nun auch zu grundsätzlich
verschiedenen Sichtweisen des europäischen Kontextes und
der notwendigen Adaptationsprozesse führt, ist allerdings
bislang noch nicht gestellt worden. In diesem Zusammenhang wäre
auch die Frage zu stellen, ob und in welcher Form die religiös
orientierten Gruppen der Integration säkularisierter Muslime
in den europäischen Kontext entgegenwirken; ob sie ein
eigenes Integrationsangebot unterbreiten und worauf dieses beruht.
- Gender-Diskurse werden nicht nur in dem explizit dieser Frage
gewidmeten Projekt Amir-Moazami
behandelt, sondern auch bei der Untersuchung der südasiatischen
Missionsbewegungen Tablīghī Jamā'at
und Da'wat-i Islāmī, der islamischen Schulen,
sowie der Ahmadiyya. Hier ergeben sich auch wichtige Vergleichsmöglichkeiten
über Gemeinsamkeiten bzw. unterschiedliche Konzepte.
- Darüber hinaus existieren bei den islamischen Netzwerken
und Institutionen eine Reihe von bereits jetzt bekannten direkten
Querverbindungen zwischen den Teilprojekten: Ideologische und
personelle Bindungen der französischen Institutionen (Projekt
Peter) bestehen an die im
Projekt Kamp untersuchten Gruppen und Institutionen in Deutschland.
Diese wiederum sind auch mit der Amir-Moazami
untersuchten Milli Görüş in Verbindung. Die im
Projekt Reetz/Gugler untersuchte
Tablīghī Jamā'at spielt auch für
die Vernetzung der südafrikanischen islamischen Schulen
südasiatischer Prägung (Projekt Niehaus)
eine wichtige Rolle.
- Jenseits dieser direkten Beziehungen wird es von Interesse
sein, den Einfluss translokaler und transnationaler Beziehungen
auf die Vermittlung islamische Bildung in Deutschland bzw. Europa
mit Ergebnissen im türkisch, südasiatisch oder arabisch,
darunter auch franko-maghrebinisch geprägten Islam zu vergleichen.
Das Projekt lässt sich von einem interdisziplinären
Herangehen leiten. Dies wird auch durch die vertretenen Disziplinen
seitens der Bearbeiter symbolisiert: Politikwissenschaft, neuere
Geschichte und Publizistik, sowie Islamwissenschaft, Arabistik
und Afrikanistik. Als Bezugsrahmen für die Untersuchung gelten
die Kategorien der soziologischen Metasprache. Für die vergleichenden
und koordinierenden Aspekte kommt religionssoziologischen Ansätzen
über die Umgestaltung religiöser Lebensentwürfe,
Lebensweisen und gesellschaftlicher Projekte in Auseinandersetzung
mit der Moderne besondere Bedeutung zu (vgl. Berger 1997). Politologische
Ansätze werden dabei helfen, die religiösen Akteure
und Institutionen im gesellschaftlichen und politischen Umfeld
zu lokalisieren. Gerade für die europäische Politikwissenschaft
galt die Schnittstelle zwischen Religion und Politik bisher als
„blinder Fleck“. Sie rückt jedoch nun zunehmend
in den Blickpunkt der Politikforschung (vgl. Willems/Minkenberg
2002: 18; Willems 2004; Reetz 2004a). Islamwissenschaftliche Beiträge
fließen in die Aufarbeitung der religiösen Diskurse
der Untersuchungsgruppen und Akteure ein (vgl. Enayat 1982; Hourani
1983).
In den Teilprojekten stehen im Wesentlichen zwei Methoden im
Mittelpunkt: qualitative Text- und Diskursanalyse sowie Feldforschung
mit Leitfadeninterviews. Die Vorhaben orientieren sich jedoch
weniger auf die sprachwissenschaftlich beeinflussten formalen
Ansätze von Jäger (1993) und Mayring (1993). Hier ist
ein sozialwissenschaftliches Herangehen vorgesehen, das nicht
nur die Form, sondern auch den Inhalt der Diskurse untersucht.
Dabei geht es zumeist um das Erfassen, die Rekonstruktion von
relevanten Kategorien und Diskursen der Akteure und das Aufzeigen
der Zusammenhänge zwischen sprachlichem und gesellschaftlichem
Handeln, insbesondere mit institutionellen Strukturen. Dieses
Vorgehen knüpft an die Rekonstruktion der historischen Diskursanalyse
in der Tradition von Foucault an (Bublitz et al 1999; vgl. auch
Knoblauch 2003; Ruth 2000).
Einen guten Überblick über die Methoden der Feldforschung,
die für das Projekt fruchtbar gemacht werden können,
darunter auch über offene Interviews und verschiedene Methoden,
diese zu strukturieren, sowie das Material auszuwerten, geben
Beer (2003), Kleining (1995, 1998), sowie Flick/Kardorff/Steinke
(2003) und Flick (2004). Von besonderer Bedeutung für dieses
Verbundprojekt sind die kritischen Ansätze zur Sozialanthropologie
von Marcus (1995, 1999) und seine Vorschläge, sich bewegenden
Untersuchungsobjekten („moving targets“) auch als
Forscher im Rahmen des „multi-sited research“ zu folgen.
Die Teilprojekte wären ohne einen solchen Ansatz nicht zu
realisieren, da sich die Bearbeiter gerade daraus einen erheblichen
Erkenntnismehrwert versprechen.
Fragen des Vergleichs spielen eine zentrale Rolle in dem Verbundprojekt.
Hier schließen die Bearbeiter methodisch an die verstärkte
Debatte zur Komparatistik an (Kaelble, Hartmut/ Jürgen Schriewer
2003; Rothermund 1994). Vergleichende Betrachtungen liegen den
verwandten Kulturtransfer-Forschungen Deutschland-Frankreich ebenso
zugrunde (Middell 2005, Espagne 1999), wie den neueren Überlegungen
zur translokalen und transnationalen Forschungsperspektive (Freitag/von
Oppen 2005; Luethi 2005). Dabei kommt es besonders darauf an,
die Vergleichsebenen und -Einheiten zu bestimmen. Der Vergleich
„konzentriert sich auf das für wesentlich Erklärte
und muss zugleich dafür Sorge tragen, dass die Vergleichseinheiten
umgrenzt, distinkt und identifizierbar bleiben“ (Osterhammel
2003: 466).
Hinsichtlich des im Projekt angestrebten Vergleichs sind die
Akteure, Diskurse und Institutionen als komplementär anzusehen.
Sie beleuchten verschiedene Facetten der Gesamtproblemlage. Der
Vergleich erfolgt auf der Ebene
- der von den Gruppen und Institutionen verfolgten religiösen
und sozialen Projekte und Konzepte:
- in welchem Maße modifizieren sie islamische Normen,
reinterpretieren sie europäische Werte;
- der Rückkopplung an die mit ihnen verbundenen Gesellschaften
Asiens und Afrikas:
- welche Bedingungen und Umstände dort beeinflussen sie
nachhaltig;
- wie gestalten sie den Aushandlungsprozess zwischen Herkunfts-
und Aufnahmegesellschaft;
- der translokalen und transnationalen Verknüpfung ihrer
Aktivitäten:
- wie nutzen sie ihren Wechsel zwischen verschiedenen Ländern,
Gesellschaften und Kulturen für ihre Projekte;
- welche Rolle spielt für sie die „Grenzüberschreitung“
zwischen den verschiedenen Orten ihrer Aktivitäten.
Erwartete Ergebnisse
Das Projekt wird neben wissenschaftlichen Analysebefunden, die
der Schließung von Forschungslücken dienen, die Erkenntnisse
als Empfehlungen an die Politik aufbereiten. Die Ergebnisse sollen
zudem der Kommunikation mit der breiteren Öffentlichkeit
dienen, um das Bewusstsein für die Problemlage zu schärfen
und den Umgang damit zu thematisieren.
Für die Forschung werden Erkenntnisse darüber erwartet,
auf welchen Wegen islamische Gruppen und Institutionen danach
streben, sich in den westlichen / europäischen Kontext einzufügen.
Die Untersuchungen sollen Aufschluss geben über die Art dieser
Projekte, deren unterschiedliche Ausrichtung und Dynamik.
Zugleich soll sichtbar gemacht werden, auf welch unterschiedliche
Weise diese Aktivitäten mit den Erfahrungen und Vorgängen
in Ländern Asiens und Afrikas zusammenhängen; wie einerseits
deren Hintergrund das Handeln der Akteure beeinflusst und wie
diese Sicht andererseits durch weitere Faktoren z. T. mehrfach
gebrochen wird, darunter durch die europäischen Einflüsse
auf die Akteure, aber auch durch deren translokale und transnationale
Vernetzung.
Die intensive Kommunikation der Forschungsergebnisse an die
Öffentlichkeit verfolgt das Ziel, den Dialog zwischen unterschiedlichen
Perspektiven auf Europa zu befördern und einer gegenseitigen
Abschottung europäischer und islamisch-religiöser Projekte
entgegenzuwirken sowie die Transparenz und den Informationsstand
zu den gesellschaftlichen Projekten religiöser Gruppen zu
erhöhen.
Die Empfehlungen an die Politik sollen dazu beitragen, die Vorstellungen
von den sozialen und kulturellen Bestimmungen Europas und des
Europäischen zu weiten; sich der Verschiedenheit der sozialen
und kulturellen Ansätze und Projekte bewusst zu werden; sich
bewusst mit den Ansprüchen von nichteuropastämmigen
Minderheiten auseinanderzusetzen, mit ihren religiös bestimmten
Lebensentwürfen ein Teil Europas zu sein. Darüber hinaus
sollen Vorschläge für institutionelle Veränderungen
gemacht werden, die einen Dialog zwischen beiden Seiten und die
Partizipation der muslimischen Minderheiten in politischen und
gesellschaftlichen Prozessen fördern können.
Aus jetziger Sicht geht das Verbundprojekt von folgender Arbeitshypothese
aus: Religiös bestimmte Lebensentwürfe von Muslimen
in Europa weisen eine große Vielfalt auf. Zugleich gehen
sie eine intensive Auseinandersetzung mit europäischen Werten
und Bedingungen ein. Dabei werden sie in starkem Maße von
Erweckungshaltungen wie auch Modernisierungserwartungen in ihren
Ursprungsgesellschaften beeinflusst. Der Vergleich mit Südafrika
zeigt, wie islamische Reformprojekte in Minderheitensituationen
die Institutionalisierung vorantreiben und dabei zunehmend über
internationales Networking aktiv nach Europa hineinwirken. Die
Dynamik vieler dieser Projekte in Europa ist kaum noch ohne das
Studium der Wurzeln dieser Bewegungen in Asien und Afrika verständlich.
Gleichzeitig sind die europäischen Diskurse und Institutionen
in mehrfacher Hinsicht gebrochen und keineswegs mit den Ursprüngen
deckungsgleich. Vielmehr reflektieren sie einen graduellen, wenn
auch ungleichen Adaptionsprozess, der zugleich auch Abgrenzungsmomente
enthält.
Vom Teilprojekt Reetz/Gugler
(Strategien von Abgrenzung und Anpassung) wird eine Dokumentation
wichtiger europabezogener Aktivitäten beider Missionsbewegungen
(TJ, DI) erwartet. Zugleich soll die Untersuchung darüber
Aufschluss geben, in welchem Maße diese als kulturell und
theologisch relativ konsistent geltenden Projekte durch ihr Agieren
im europäischen Kontext modifiziert werden, wie sie diese
Veränderungen mit ihrer transnationalen Zielstellung vereinbaren
und gegenüber ihren Zentralen in Indien und Pakistan rationalisieren.
Interessant und wichtig wäre festzustellen, inwieweit sie
alternative, möglicherweise dezidiert nichtpolitische Projekte
des Islamismus im Vergleich zu den Bewegungen verfolgen, die den
Muslimbrüdern nahe stehen.
Die im Teilprojekt Kamp untersuchten
islamischen Ausbildungseinrichtungen, die in Eigeninitiative von
muslimischen Organisationen oder Privatpersonen initiiert wurden,
füllen zur Zeit eine Lücke im Bildungsangebot aus. Doch
auch zukünftig, so ist zu vermuten, werden sie als Konkurrenz
zu den im Aufbauprozess befindlichen Lehrstühlen für
islamische Theologie und islamische Religionspädagogik in
Deutschland fortbestehen – so wie in islamisch geprägten
Staaten auch private Schulen (madÁris, kuttÁb),
Institute oder Privatgelehrte mit staatlich anerkannten universitären
Einrichtungen koexistieren. Das Teilprojekt will diesen privaten
Raum islamischer Wissensvermittlung mit seinen Netzwerkstrukturen
beleuchten und die Bedeutung der Rückbindung an islamische
Einrichtungen in Asien und Afrika für die Tradierung islamischen
Wissens in Europa herausarbeiten. Dabei wird die Entstehung eines
eigenständigen privaten islamischen Bildungssektors nicht
als Indikator für eine sich abschottende „Parallelgesellschaft“
gesehen, sondern vielmehr als ein Zeichen für die Etablierung
des Islam in Deutschland, wo nach mehreren Jahrzehnten muslimischer
Einwanderung sich zunehmend eine religiöse Infrastruktur
herausbildet. Diese religiöse Infrastruktur ist nicht nur
mit Bildungseinrichtungen in den Herkunftsländern der Muslime,
sondern, wie die Vorarbeiten zeigen, auch innerhalb Europas vernetzt.
Der im Teilprojekt Niehaus
(Zwischen Partizipation und Abkopplung) vorgenommene verfassungsrechtliche
Vergleich zwischen Südafrika und Deutschland im Hinblick
auf Minderheitenrechte für Muslime könnte zeigen, ob
und wie partizipative und integrative Minderheitenpolitik über
die Gewährung von religiösen Sonderrechten für
die muslimische Gemeinschaft gestaltet werden kann. Die Ergebnisse
können in Form einer Studie und öffentlichen Veranstaltungen
politischen Entscheidungsträgern und muslimischen Organisationen
zugänglich gemacht werden, um so einen Dialog zwischen beiden
Seiten herzustellen. Die empirische Untersuchung muslimischer
Schulen in Südafrika und Europa lässt ein differenziertes
Ergebnis vermuten, in dem diese Bildungseinrichtungen je nach
sozio-politischem Kontext und internen Strukturen inklusiv und/oder
exklusiv auf die Mehrheitsgesellschaft wirken. Wichtig werden
die Ergebnisse für die Einschätzung sein, unter welchen
gesellschaftlichen, konzeptionellen und curricularen Bedingungen
muslimische Schulen eher zu Isolation oder eher zu Integration
beitragen. Hieraus können für die Praxis geeignete Schlussfolgerungen
gezogen werden. Diese Ergebnisse können durch öffentliche
Veranstaltungen und Seminare an Lehrer und Eltern der untersuchten
Schulen sowie Vertretern der jeweiligen Erziehungsministerien
heran getragen werden.
Das Teilprojekt Amir-Moazami
(Frauen in islamistischen Organisationen) lässt sich in dreierlei
Hinsicht im Gesamtvorhaben verorten. Einerseits bemüht es
sich darum, historische Bezüge und Analogien zur heutigen
Situation von Muslimen in Europa herzustellen. Auf diese Weise
wird versucht, muslimische Lebensformen in Europa nicht einseitig
als migrationsbedingtes Phänomen zu betrachten, sondern gewissermaßen
als Fortsetzung einer Problematik, die man als Konfrontation zwischen
modernen Rationalitäten und islamischen Diskurstraditionen
betrachten könnte. Andererseits soll das Teilprojekt gegenwärtige
Diskurse und Praktiken europäischer Muslime gezielt in eine
transnationale Perspektive einbetten und sich auch auf diese Weise
darum bemühen, europäischen Ausprägungen des Islam
ihren Nischencharakter zu nehmen, ohne dabei jedoch voreilig von
einem allmählichen „Einrasten“ muslimischer Traditionen
in europäische Gesellschaften auszugehen. Schließlich
versucht das Teilprojekt konsequent, die „Binnenperspektive“
auf muslimische Minderheiten mit einem Blick auf die normativen
Prämissen der Mehrheitsgesellschaft zu verbinden und auf
diese Weise die geläufige Forderung nach einer einseitigen
Anpassung an geltende Normen zu hinterfragen. Auf diese Weise
könnte das Teilprojekt dazu beitragen, dominante Diskurse
zu hinterfragen, wonach Konfliktpotentiale voreilig als Resultat
einer Islamisierung junger Muslime gedeutet werden.
Das Teilprojekt Peter (Islamismus
in Frankreich) übernimmt konsequent die transnationale Forschungsperspektive
des Verbundprojektes und versucht hiervon ausgehend die Grundlagen
der heutigen Integrationsdebatte zu problematisieren. Zum einen
soll das Bewusstsein für die Tatsache gestärkt werden,
dass Integration nicht nur durch Anpassungsprozesse an nationalstaatliche
Räume erlangt wird, da diese selbst bedeutsamen, nicht zuletzt
auch durch die muslimische Präsenz ausgelösten Wandlungsprozessen
unterworfen und untrennbar mit transnationalen Strukturen verwoben
sind. Mit Verweis auf die bedeutsamen transnationalen Bindungen
islamistischer Gruppen – die in dieser Hinsicht durchaus
mit anderen religiösen und weltanschaulichen Gruppen in Europa
zu vergleichen sind – soll darüber hinaus auch gezeigt
werden, dass Integration sinnvoller Weise nur als ein kontinuierliches
Ausbalancieren der Verortung von Muslimen in nationalen und transnationalen,
institutionellen und diskursiven Strukturen analysiert und durch
politische Maßnahmen orientiert werden kann.
Das Teilprojekt Lathan zur
Ahmadiyya in Deutschland soll einen Beitrag zum gesellschaftli-chen
Diskurs zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaften in Europa
leisten. Im Rahmen der Arbeit wird eine Synthese der gewonnenen
Erkenntnisse versucht und Vorschläge für den privaten,
öffentlichen und behördlichen Umgang mit dieser Gruppierung
gemacht. Die zu-nächst nur auf die Ahmadis fokusierte Analyse
impliziert letztendlich Rückschlüsse auf den allgemeinen
Umgang mit islamischen Gruppierungen in Deutschland bzw. Europa
und soll zu einem bereichernden Miteinander beider Seiten anregen.
In diesem Sinne sind Diskussions-runden unter Einbezug von für
die Thematik relevanten Personen geplant, an denen nicht nur die
Teilnahme von Fachpublikum, sondern auch der Öffentlichkeit
angestrebt wird. Zusätz-lich soll das Projekt im Rahmen themennaher
Seminare und Vorlesungen an der Universität Halle präsentiert
werden.
Zur wissenschaftlichen Verwertung sowie zur Kommunikation mit
der Öffentlichkeit finden drei wissenschaftliche Tagungen
statt:
„Muslimische Minderheiten und Europa: Religiöse Lebensentwürfe
und Institutionen im Vergleich“ – Abschlusstagung
des Verbundprojektes am ZMO Berlin (II. Qu. 09)
„National-transnational: Islamistische Bewegungen in Europa
und der Islamischen Welt“ – Tagung zu Projektergebnissen
beim Verbundpartner Europa-Universität Viadrina (II. Qu.
09)
„Muslimische Minderheiten und ihre islamischen Schulen:
im Spannungsfeld zwischen Integration und Abkopplung“ –
Tagung beim Verbundpartner Universität Hamburg (I. Qu. 09)
Es ist beabsichtigt, die Ergebnisse dieser Konferenzen zu publizieren.
Insbesondere die Papie-re der Abschlusstagung des Verbundprojektes
sollen unter dem Arbeitstitel „Muslimische Minderheiten
und Europa: Erkenntnisse und Empfehlungen“ möglichst
noch während der Laufzeit des Projektes veröffentlicht
werden. Das Projekt strebt außerdem eine enge Verbindung
zur Lehre an. Die Forschungsergebnisse sollen dort unmittelbar
einfließen und gleichzeitig zur Kommunikation der Ergebnisse
beitragen.
Es ist vorgesehen, das Projekt durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit
zu begleiten, für die zum Teil bereits bestehende Kooperationen
der Projektbearbeiter existieren. Dabei geht es sowohl um öffentliche
Veranstaltungen, als auch die Nutzung von elektronischen und Printmedien
sowie des Internets.
Zugleich soll und muss die Öffentlichkeitsarbeit auf die
Sensibilität der Problematik Rücksicht nehmen. Es dürfen
dadurch keine Foren für Ansätze geschaffen werden, die
sich gegen das Zusammenleben und die Integration in Europa richten
und die Ausschließlichkeit verschiedener Blickwinkel propagieren,
ob unter rassistisch-fremdenfeindlichen Vorzeichen oder im Namen
religiöser Intoleranz. Da sich das Projekt im weiteren Sinne
als Beitrag zur Dialogarbeit zwischen den Kulturen und Religionen
in Europa betrachtet, solle auch Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten
geschaffen werden, z.B. in Gestalt
- eines Sommercamps für religiös orientierte junge
Muslime an einer deutschen Universität zusammen mit Studenten
der Politik, Philosophie und der Islamwissenschaft
- einer wissenschaftlich-öffentlichen Tagung, auf der
auch junge religiös orientierte Vertreter dieser Organisationen
zusammen mit den Projektteilnehmern zu Wort kommen und die Möglichkeit
erhalten, ihre Projekte aus ihrer Perspektive darstellen zu
können.
Literatur
Die im Text angegebene Literatur ist vorläufig nur als PDF-Dokument
abrufbar.
Literatur
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