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Heilige Orte, populäre Erinnerung und translokale Praxis im südlichen
Swahili-Raum
Dr. Chanfi Ahmed
PD Dr. Achim v. Oppen
Zusammenfassung des Abschlussberichts der Gruppe
Gegenstand dieses Projekts waren kulturelle Praktiken des populären
Islam, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts an verschiedenen heiligen
Orten der Komoren und der südlichen Küste Tansanias entwickelt
haben. Im Mittelpunkt der Forschung standen Praktiken der Erinnerung
an den Gräbern großer geistlicher Führer der Bruderschaft
(tariqa) Shadhiliyya-Yashrutiyya, die im Laufe der letzten 100 Jahre
eine große Bedeutung bei der Verbreitung des Islam in der Region
hatte und bis heute viele Anhänger zählt. Die Untersuchung
dieser Praktiken konzentrierte sich insbesondere auf die Erweiterung
religiöser, sozialer und räumlicher Horizonte, die die Gläubigen
dadurch erreichen. Ziel des Projekts war eine historische Erkundung
der Dynamik von lokaler Einbindung und translokaler Öffnung in
diesem Raum, die im Spannungsverhältnis zum Nationalstaat einerseits
und zu islamisch-universalistischen Reformbewegungen andererseits steht.
Neben Archiv- und literaturgestützten Arbeiten wurden empirische
Feldforschungen mit teilnehmenden Beobachtungen und Interviews an verschiedenen
Orten durchgeführt, und zwar zunächst an ausgewählten
zawiya und Grabstätten auf Ngazidja, der Hauptinsel der Komoren,
und dann an verschiedenen Zentren der Shadhiliyya, in Dar es Salaam,
im Gebiet Kilwa-Lindi und in Korogwe in Tansania.
Während die Planung, Reflexion und Präsentation der Forschungen
teilweise von den beiden Projektbearbeitern gemeinsam getragen wurde,
ist die eigentlichen Forschungs- und Auswertungsarbeit weitgehend von
Dr. Chanfi Ahmed geleistet worden. Die Ergebnisse des Projekts lassen
sich in knapper Form wie folgt zusammenfassen: Die wichtigsten religiösen
Feiern der Shadhiliyya in Ostafrika sind die "Saba Ishrini"
genannten jährlichen Gedenkveranstaltungen am Todestag al-Macrufs,
des ersten Gründers dieser Bruderschaft in der Region. Zumindest
im Bewußtsein der aktiven Anhänger bekräftigen sie die
translokale Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen geistlichen Tradition,
die über eine quasi genealogische "Kette" (Silsila) von
Lehrer-Schüler-Beziehungen vermittelt ist. Auf den Komoren, der
Heimat al-Macrufs, konnten die Bearbeiter feststellen, daß diese
Feiern inzwischen von den Anhängern der Shadhiliyya an vielen Orten
parallel begangen werden. Zugleich aber werden sie durch Radioübertragung,
öffentliche Diskussionen u.ä. zu einer Grundlage der nationalen
Kultur stilisiert. In Tansania hingegen werden die Saba-Ishrini-Feiern
zwar zur gleichen Zeit abgehalten, aber zum Gedenken an Sheikh Husseins
benutzt, den Shadhiliyya-Gründer auf dem Festland. Hier (insbesondere
im Südosten) findet nacheinander eine Serie von Gedenkveranstaltungen
an verschiedenen Orten statt, die von den aktivsten Anhängern in
Form einer "Karawane" der Reihe nacheinander besucht werden.
Diese Veranstaltungen, an denen Anhänger aus der Umgebung und Gäste
aus der ganzen Großregion teilnehmen, dienen der Inszenierung
des Einflusses der Tariqa und ihres Führers.
Die translokalen Beziehungen der Shadhiliyya-Yashrutiyya mit ihrem historischen
Hauptsitz im Nahen Osten (heute: Amman, Jordanien) sind weitgehend abgebrochen.
Dort scheinen aus wirtschaftlichen Gründen die Kontakte mit Migrantengemeinden
in Europa und Amerika Priorität zu haben. Die ostafrikanischen
Führer der tariqa haben dagegen inzwischen, besonders durch Pilgerreisen,
neue Verbindungen mit palästinensischen und syrisch-libanesischen
Migranten in den Golfstaaten geknüpft. Diese Wiederbelebung der
Translokalität der tariqa wird erheblich von der politischer Liberalisierung
und Zunahme an Mobilität in der Region gefördert. Die untersuchten
Praktiken kollektiver Erinnerung an die gemeinsamen Gründer und
Lehrer werden so zum Ausdruck der Erneuerung eines älteren zivilisatorischen
Großraums, der deutlich über die sogenannte "Welt der
Swahili" hinausreicht.
Projektpublikationen Dr.
Chanfi Ahmed
Arbeitsergebnisse Dr.
Achim von Oppen
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