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Islamische Mission im multikonfessionellen Kontext Ostafrikas
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Teilprojekt 1: Bekehrungsdiskurse: Lokale
und translokale Interaktionen islamischer Mission im heutigen Ostafrika
(Chanfi Ahmed)
Die Zunahme von islamischer Missionierungsarbeit, die seit den 1980er
Jahren von einer neuen Generation von 'ulama und anderer muslimischer
Aktivisten in Ostafrika (Tansania und Kenia) geführt wird, ist
politisch wie religiös motiviert.
Zu den politischen Motiven ist anzumerken, dass die Vertreter des politischen
Islams in Ostafrika im Gegensatz zu denen anderer islamischer Länder
nicht die Etablierung eines islamischen Staates anstreben, so zumindest
lassen es die Aktivisten verlauten. Angestrebt wird vielmehr eine umfassendere
Partizipation der muslimischen Bevölkerung an politischen und ökonomischen
Entscheidungsprozessen. Durch eine derartige Partizipation könnten
die Muslime ihre Rechte besser geltend machen und würden nicht
mehr als Bürger zweiter Klasse angesehen, so die Argumentation
vieler islamistischer Aktivisten Ostafrikas. Es sei dahingestellt, ob
die ostafrikanischen Muslime tatsächlich als Bürger zweiter
Klasse behandelt werden. Allein diese Behauptung verweist indes auf
die stark realpolitische Ausrichtung vieler islamistischer Aktivisten
der Region: Erklärtes Ziel ist nicht der Bruch mit dem Nationalstaat,
sondern vielmehr die bessere Integration der muslimischen Bevölkerung
in eben diesen Nationalstaat.
Die ‚rein religiöse’ Motivation für die Zunahme
islamischer Mission geht zurück auf die 'ulama salafiyya-wahhabiyya,
deren Ziel es ist, Nichtmuslime wie Muslime zu einem puritanischen und
fundamentalistischen Islam zu bekehren. Freilich sind politische und
religiöse Motivation realiter nicht immer klar zu trennen.
Zu den Mitteln, derer sich die 'ulama salafiyya-wahhabiyya bei ihrer
Missionsarbeit bedienen, zählen der Unterricht in den eigenen Schulen
und Moscheen, die Verbreitung von Predigten durch Audio- und Videokassetten
sowie von Flugblättern und Traktaten. All dies geschieht mit Unterstützung
lokaler und translokaler islamischer NGOs; eine Entwicklung, die auch
in anderen Teilen der Welt zu beobachten ist. Anzumerken ist, dass die
erwähnten Mittel auch von den christlichen Missionen verwendet
werden, insbesondere von den Pfingstkirchen, den mit Abstand stärksten
Konkurrenten der salafiyya-wahhabiyya auf dem ostafrikanischen „Bekehrungsmarkt“.
Eine spezifisch ostafrikanische Spielart des Islamismus sind allerdings
die Muslim Bible Scholars, die einen Diskurs der „comparative
religions“ propagieren. Der ‚Religionsvergleich’ besteht
dabei in einer ‚islamischen Lektüre’ der Bibel, d.h.
einer Dekonstruktion der Bibel zugunsten des Islams. Diese von den Muslim
Bible Scholars etablierte Technik wird zunehmend auch von anderen Muslimen
angewandt. Bemerkenswert ist, dass die Muslim Bible Scholars ihre Predigten
ausschließlich auf Swahili halten; selbst Koranverse werde auf
Swahili wiedergegeben. Der exklusive Gebrauch einer Lokalsprache erscheint
umso interessanter, als im Islam bis heute allgemein das Primat des
Arabischen gilt, sowohl für den Ritus als auch den Transfer von
religiösem Wissen.
Ein weiteres Novum betrifft den gesellschaftlichen Hintergrund der
ostafrikanischen 'ulama salafiyya-wahhabiyya. Diese stammen ganz überwiegend
aus einfachen Familien des upcountry und der Küste. Die traditionellen
'ulama dagegen stammten hauptsächlich aus den Sharifen-Familien
der Küstenregion, die sich als Nachkommen des Propheten Muhammad
verstehen. So erfährt das religiöse Feld des ostafrikanischen
Islams gegenwärtig eine rasch voranschreitende soziologische Rekonfigurierung.
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Teilprojekt 2: Konversionsgeschichten:
Islamische Bekehrung im heutigen Ostafrika als individuelle Erfahrung
und soziale Praxis (Tabea Scharrer)
In Ostafrika lassen sich derzeit vielfache Bemühungen beobachten,
auch abseits der muslimischen Zentren an der Küste den ‚reinen’
Islam voranzubringen. Die Bekehrungs- und Bildungsangebote neuer Aktivisten
islamischer ‚Mission’ (da’wa) treffen dabei auf etablierte
Praktiken des Islam, aber auch auf verstärkte Aktivitäten
christlicher Missionsbewegungen. Das Projekt ‚Konversionsgeschichten:
Islamische Bekehrung im heutigen Ostafrika als individuelle Erfahrung
und soziale Praxis’ untersuchte ‚Erzählungen religiösen
Wandels in Ostafrika’ anhand von biographischen Interviews mit
Konvertiten zum Islam beziehungsweise innerhalb des Islam. Dabei sollte
auf der einen Seite der individuelle Umgang mit Konversion verdeutlicht
werden, auf der anderen Seite konnten Rückschlüsse über
den auf gesellschaftlicher Ebene stattfindenden religiösen Wandel
innerhalb des Islam in Ostafrika gezogen werden.
Der Begriff der religiösen Konversion wurde dabei in Anlehnung
an neuere soziologische Untersuchungen zum Thema Konversion als ein
fundamentaler persönlicher Wandel auf der Ebene des Diskursuniversums
(Begriff von G.H. Mead; verwendet von Snow & Machalek 1984, Staples
& Mauss 1987, Wohlrab-Sahr 1998) gefasst. Diese Perspektive schien
besonders geeignet dafür, auch Fälle von Konversion innerhalb
des Islam zu betrachten, da zwar dabei in emischer Sicht nicht von Konversion
gesprochen wird, sehr wohl aber ein Wandel des Diskursuniversums zu
beobachten ist. Durch die Konzentration auf die Biographien, Wahrnehmungen
und Praktiken der Konvertiten war diese Untersuchung in besonderer Weise
geeignet, die mit Konversionserfahrungen verbundenen Prozesse der Subjektivierung,
Individuierung und Mobilisierung zu verfolgen, die in der früheren
Literatur oft vernachlässigt wurden. Zugleich kam die lebensgeschichtliche
Umsetzung und Gestaltung historischer Brüche in den Blick. Bei
der Auswertung der Konversionsgeschichten wurden zum einen biographische
Muster und typische Lebensverläufe untersucht (Schütze 1983),
die zum Teil auch als Konversionskarrieren bezeichnet werden (Richardson
1978). Andererseits wurde besondere Aufmerksamkeit auf die Codes der
Konversion gelegt, also darauf, wie die Befragten ihre Erfahrungen ausdrücken
und darstellen, wie sie ihr altes und neues Leben beschreiben etc. (vgl.
Jules-Rosette 1976, Ulmer 1988).
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