|
|
|
Translokalität im Sahara-Sahel-Raum
Dr. Elisabeth Boesen
Dr. Baz Lecocq
Dr. Laurence Marfaing
Das Projekt hat Translokalitätsphänomene zum Gegenstand,
die Sahara und Sahel mit dem Maghreb und westafrikanischen Küstenländern
verbinden. Es zielt damit auf einen Raum, der im allgemeinen nicht als
ein zusammenhängender betrachtet wird.
Zwei der drei Teil-Projekte (3.1. und 3.2.) befassen sich mit den Wanderungen
modernen Typs, die Angehörige von Gruppen mobiler Pastoralisten
Fulbe-Wodaabe aus Niger sowie Tuareg aus Mali und Niger -, in
verschiedene west- und nordafrikanische Länder, besonders die dortigen
städtischen Zentren, unternehmen. Das dritte Teilprojekt (3.3.)
widmet sich den Reisen von senegalesischen Händlern, Pilgern, Handwerkern
und Fischern nach Mauretanien und Marokko. In allen Fällen geht
es wesentlich um eine Analyse der Interaktion zwischen Migranten und
städtischen Bevölkerung sowie der sozialen Erscheinungen,
die diese Interaktion hervorbringt. Ein wichtiger Punkt der Untersuchung
ist die Frage nach der jeweiligen Natur und gesellschaftlichen Bedeutung
von Differenz und Fremdheit. Fremdheit kann, so die These, fixe Statusrelationen
und Ausbeutungsverhältnisse begründen, sie kann aber auch
Grundlage von relativ offenen und herrschaftsfreien Beziehungen sein.
Die Idee des Vergleichs, die die beiden Teilprojekte 3.1. und 3.2. verbindet,
basiert auf der Annahme, dass in den modernen Migrationen und im Austausch
der Nomaden mit dem städtischen Gegenüber ein Grundzug der
traditionalen pastoral-nomadischen Lebensweise, nämlich daß
diese selbst bereits durch "Translokalität", d.h. durch
die Teilhabe an verschiedenen sozio-kulturellen Sphären gekennzeichnet
ist, auf neue Weise bedeutsam wird. Das Teilprojekt 3.3. befasst sich
mit den Formen der Soziabilität, die in den Beziehungen zwischen
Migranten und lokalen Bevölkerungen vorherrschen, und insbesondere
mit der Frage, inwieweit diese geprägt sind im Kontext derdurch
die Erinnerung an die Sklaverei einerseits, durch Ressentiments, hervorgegangen
aus der Kollaboration der subsaharischen Afrikaner bei der Kolonialeroberung
Mauretaniens und Marokkos andererseits.
Projektpublikationen
Teilprojekt 1
Moderner Nomadismus. Viehhalter aus Zentralniger in den Küstenzentren
Westafrikas
Dr. Elisabeth Boesen
Im Fall der Wodaabe, die Teil der über ganz Westafrika verstreut
lebenden Fulbe-Bevölkerung sind, haben die saisonalen Wanderungen
in erster Linie die großen Küstenstädte (z.B. Abidjan
oder Dakar) zum Ziel. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Annahme,
daß die Wodaabe-Migranten hier gewissermaßen ihre "Fremdheit"
feilbieten, d.h. daß der spezifische Wert der Produkte und Dienstleistungen,
die sie offerieren, wesentlich in der Herkunft der Wodaabe aus einem
fremden, gefährlichen, aber auch segenbringenden Hinterland gründet.
Fremdheit, verstanden als kulturelle und soziale Eigenschaft, ist, so
unsere These, hier für die Beziehungen zwischen Migranten und Küstenbevölkerung
konstitutiv. Sie wird auch durch die lange Dauer des Kontakts nicht
überwunden, sondern bewahrt und gewissermaßen institutionalisiert.
Eine auffällige Besonderheit der Wodaabe-Reisen liegt darin, daß
sie vornehmlich eine Angelegenheit der Frauen sind. In dem Projekt werden
darum auch die Natur und Leistungsfähigkeit weiblicher sozialer
Netzwerke und die Frage nach möglicherweise distinkten weiblichen
Formen der Vermittlung von Fremdheit zu untersuchen sein.
Teilprojekt 2
Moderne Migrationen der Tuareg
Dr. Baz Lecocq
In diesem Projekt werden zeitgenössische Migrationsbewegungen
der Tuareg aus
Mali und Niger untersucht. Seit den Dürren der 1970er und 80er
Jahre und seit
den Aufständen in den 1990er Jahren, sind Flüchtlings- und
Arbeitsmigration
integraler Bestandteil des Lebens der Tuareg. Im selben Zeitraum wurde
der
Fernhandel, in dem Tuareg bereits seit langem tätig waren, modernisiert
und
ausgeweitet in seiner Reichweite. Obwohl die Majorität der Flüchtlinge,
die
durch Dürre oder Krieg vertrieben wurden, in der Nähe ihrer
Heimatgebiete
blieb, erstrecken sich ökonomische Migrationsbewegungen und
Handelsbeziehungen weit über die Tuareggebiete hinaus, bis zu den
Küstenstädten Westafrikas und zum Maghreb. Ein weiteres äußerst
beliebtes
Ziel ist Mekka, wo sich manche Pilger nach der Hajj niederlassen. Ziel
der
Forschung ist, sowohl die sozialen und kulturellen Transformationen
und das
Anpassungsvermögen der Tuareg-Gesellschaft in diesen neu bewohnten
Räumen zu
beschreiben, als auch die Auswirkungen dieses Wandels für die Gemeinschaften,
die in den Herkunftsgebieten bleiben. Außerdem wird der Frage
nachgegangen,
wie interne und externe Beziehungen im Kontext einer umfassenderen
westafrikanischen und maghrebinischen Diaspora geformt werden. Wie und
inwieweit die traditionelle Identität der Tuareg als nomadische
Pastoralisten ihre modernen Migrationsbewegungen beeinflusst und inwieweit
sie sich damit von ihren sesshaften Nachbarn unterscheiden, bleibt
abzuwarten.
Teilprojekt 3
Aneignung von Raum und Dynamisierung von Beziehungen: Senegalesen
in Marokko und Mauretanien
Dr. Laurence
Marfaing
Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens steht das Problem der Konstituierung
translokaler sozialer Räume zwischen Senegal, Mauretanien und Marokko
durch senegalesische Händler, Händlerinnen, Pilger und Handwerker
im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Anknüpfend an die Ergebnisse jüngerer
Forschungen zur Translokalität, d.h. zur Hervorbringung grenzüberschreitender
wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Räume, soll dieser Prozess
hier aus der Perspektive der senegalesischen Akteure untersucht werden.
Dabei geht es vor allem um die Bedeutung von Soziabilität für
die Konstituierung, Verfestigung bzw. Auflösung dieser translokalen
Räume. Die Soziabilität stellt hier die verschiedenen Formen
der Interaktion dar, die hervorgegangen sind aus dem Bewusstsein der
Zusammengehörigkeit vermischt mit den Ressentiments aus der Erinnerung
an die Sklaverei während der transsaharischen Beziehungen und der
Rolle, die die subsaharischen Afrikaner bei der französischen Kolonialeroberung,
bzw. bei der Unabhängigkeitsbewegung, Marokkos und Mauretaniens
im 20. Jh. ausübten.
|
|