Urbane
Jugendkultur als Prozess translokaler Aneignung
Dr. Elisabeth Boesen
Dr. Marloes Janson
Das allgemeine Bild von der Jugend in Afrika hat sich in den
vergangenen Jahren tiefgreifend verändert. In sozial- und
geschichtswissenschaftlichen Arbeiten wird sie zunehmend mit gesellschaftlicher
Marginalität, mit Gewalt und Krankheit assoziiert, und jugendliche
Ausdrucksformen erscheinen als Krisenphänomene, als Indizien
von Anomie und Verfall. Gegenüber dieser Tendenz heben die
beiden hier konzipierten Forschungsprojekte das konstruktive Potential
der jugendlichen Akteure hervor, das in ihrer spezifischen Rolle
bei der Aufnahme und Verarbeitung von neuen Einflüssen einerseits,
der kulturellen Selbstrepräsentation nach außen andererseits
zum Ausdruck kommt. Dieser Zusammenhang soll in zwei, im wesentlichen
dem urbanen Raum angehörenden Jugendkulturen untersucht werden.
Während Teilprojekt 1 ethnisch-kulturelle Manifestationen
in Niger untersucht, geht es im zweiten Teilprojekt um Glauben
und religiöse Praxis in Gambia. In beiden Fällen wird
“Jugend” als wandelbare Kategorie aufgefasst und den
neuen, durch Migration, kulturelle Darstellungsformen und islamische
Reform beeinflussten Erfahrungen und Konzeptualisierungen von
“Jugend” besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Stammeskultur, Weltkultur, Jugendkultur. Junge Fulbe in der
Stadt
Dr. Elisabeth
Boesen
Mit dem Begriff „Jugendkultur“ verbindet sich im
Allgemeinen die Vorstellung von Neuerung, Abkehr von traditionalen
Werten und Normen, von Opposition und Rebellion. Bei den Fulbe-Wodaabe
in Zentralniger dagegen obliegt der Jugend die Darstellung und
Realisierung grundlegender und allgemein geteilter Werte. Die
Kultur der Jugend ist in ihrem Fall die Sphäre, in der sich
die kulturelle Selbstreflexion der Gesellschaft vollzieht. Die
zentrale Institution stellen hierbei die im Rahmen der großen
saisonalen Lineage-Treffen stattfindenden Tänze der jungen
Männer dar. Während diese Tänze ursprünglich
und ihrer Intention nach ins Innere der Gesellschaft wirkten,
sind sie seit einigen Jahrzehnten auch zum Medium des Austauschs
mit der Außenwelt geworden. Gegenstand des Projekts sind
diese neuen, v.a. im urbanen Kontext sich entwickelnden Formen
des Austauschs und die besondere Rolle, die den Jugendlichen als
Bewahrer des Eigenen und gleichzeitige Vermittler des Neuen in
der Gesellschaft der Wodaabe zukommt.
Islam als Subkultur: Die Tabligh Jamā'at in Gambia als
translokales Netzwerk von Jugendlichen in Westafrika
Dr. Marloes
Janson
Trotz ihrer enormen Verbreitung ist der transnationalen, islamischen,
missionarischen Bewegung der Tablīgh Jamā‘at relativ
wenig akademische Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dies gilt in
besonderem Maße für das subsaharische Afrika. Meine
Forschung wird sich daher auf die Jama‘at in Gambia, das
sich zu einem regen Zentrum der Bewegung in Westafrika entwickelt
hat, konzentrieren. Es fällt auf, dass sich hier, im Unterschied
zu Südasien, wo die Bewegung ihren Ursprung hat, vor allem
Jugendliche von dieser reformistischen Ideologie angezogen fühlen.
Die Forschung widmet sich der Frage, wie diese jungen Leute –
und insbesondere die jungen Frauen – sich die Tablīgh
Ideologie angeeignet und diese an den lokalen, meistens urbanen
Kontext, in dem sie operieren, angepasst haben. Durch die Analyse
der Aushandlungsprozesse zwischen lokal etabliertem Islam, welcher
von den eher am Mainstream orientierten Muslimen (im wesentlichen
der älteren Generation) propagiert wird, und den Ideen der
urbanen Tablīghīs, die aus dem südasiatischen Raum
stammen und von mehreren westafrikanischen reformistischen Bewegungen
beeinflusst sind, wird die Untersuchung einen Beitrag zu dem Projekt
über urbane Jugendkultur als Prozess translokaler Aneignung
leisten. Die Untersuchung der Tablīgh Jama‘at aus translokaler
Perspektive bietet eine Alternative zu essentialistischen Konzeptionen
vom Islam, wie sie in der Vorstellung eines synkretistischen „afrikanischen
Islam“ oder eines „fundamentalistischen Islam“
gegeben sind. Die Forschung wird hauptsächlich auf anthropologischer
Feldforschung im urbanen Raum Gambias basieren.
|