|
|
|
Migration
und städtische Institutionen in der spätosmanischen Reformperiode
Lafi, Nora
Riedler, Florian
Fuhrmann, Malte
Freitag, Ulrike
Das Projekt untersucht die Veränderungen, denen Städte im
Osmanischen Reich während der Reformperiode des neunzehnten und
frühen zwanzigsten Jahrhunderts ausgesetzt waren und die zur Entstehung
neuer Formen von Urbanität in den betroffenen Städten führten.
Einerseits waren es städtische Institutionen, die den Rahmen für
diese neuen Formen von Urbanität definierten. Ihre Genese zwischen
Tradition und Moderne will das Projekt einer kritischen Rekonstruktion
unterziehen. Andererseits sollen die zugrundeliegenden sozialen Prozesse,
insbesondere der durch Migration hervorgerufene Wandel in osmanischen
Städten, die gleichermaßen solche Veränderungen widerspiegelten,
mit in die Analyse einbezogen werden. Durch die Verknüpfung beider
Bereiche und dem Aufzeigen wechselseitiger Abhängigkeitsverhältnisse
zwischen ihnen hoffen die Bearbeiter, neue Erkenntnisse über Modernisierungsprozesse
in Städten des osmanischen und postosmanischen Raums zu gewinnen.
Fokus des Interesses ist der Einfluss translokaler flows von Personen
und Ideen, die solche Prozesse zu befördern in der Lage sind und
die eine spätosmanische Urbanität jenseits des Gegensatzes
exogener und endogener Modernisierung konstituierten.

Teilprojekt 1
Städtische Regierung im osmanischen Reich
Dr. Nora Lafi
Das Projekt thematisiert die Strukturen städtischer Regierung
im Maghreb und Nahen Osten während der Periode osmanischer Reformen.
Von besonderem Interesse ist hierbei das Verhältnis der Zünfte
zur städtischen Regierungsgewalt während des Ancien Régime
und im Übergang zur Moderne im 19. Jahrhundert. Ein weitreichenderes
Wissen über die sozialen Strukturen ist unerlässlich für
das Verständnis von Reformen und Moderne. Im Allgemeinen bilden
die Zünfte wie auch die verschiedenen Glaubensgemeinschaften die
Basis dieser städtischen Regierung in den osmanischen Handelsstädten
und sind auf diese Weise wesentlich an der Einführung von Reformen
beteiligt. Ziel der Forschung ist es, die Arbeit der Reformer wie auch
die lokaler städtischer Instanzen, die sich aus einheimischen Eliten
und Zünftesystem zusammensetzte, in Bezug auf die Schaffung einer
modernen Stadtverwaltung einzubeziehen. Innerhalb einer translokalen
Perspektive ist es wichtig, den Spuren dieser Regierungen wie auch ihre
Entwicklung im Hinblick auf die Entfaltung und Verbreitung von Ideen
und Reformen zu verfolgen und darzustellen, dass es sich nicht um schlichten
europäischen Import handelte. Reformimpulse fanden zweifellos sowohl
auf lokaler Ebene als auch zwischen Zentrum und Peripherie statt. Im
Zusammenhang fortschreitender städtischer Migration stellte sich
auch die Frage, wie diese Gesellschaft im Wandel regiert werden sollte.
Deshalb ist die Erforschung der städtischen Verwaltungsinstanzen
im Zusammenhang von Migration außerordentlich wichtig, da sie
ihre Organisation im Moment ihrer Reformierung bereits in Frage stellt.
Das vorliegende Projekt widmet sich also der Untersuchung des Einflusses,
den Migration auf die städtischen Verbände und Institutionen
ausübt.
Seminar zum Forschungsprojekt am ZMO

Teilprojekt 2
„Wo die Steine und der Boden Gold sind...“ Anatolische
Wanderarbeiter im spätosmanischen Istanbul
Dr. Florian Riedler
Wanderarbeiter verschiedener Herkunft, Ethnizität und Religion,
vor allem beschäftigt in gering qualifizierten Berufen, waren eine
zahlenmäßig sehr große Gruppe, die für das Funktionieren
der Städte des Osmanischen Reichs lebenswichtig waren. Schon vor
dem neunzehnten Jahrhundert verfügten besonders die großen
osmanischen Städte über eingespielte Kreisläufe saisonaler
Arbeitsmigration: Junge Männer, die aus den landwirtschaftlich
geprägten Provinzen des Reichs stammten, um Geld für ihre
daheim geblie-benen Familien zu verdienen, zu denen sie nach Ablauf
eines Arbeitszyklus zurückkehrten.
Das vorgeschlagene Teilprojekt sucht die Veränderungen, denen diese
traditionelle soziale Institution der Arbeitsmigration im osmanischen
Reformzeitalter des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts
unterworfen war, zu beleuchten. Im Rahmen der Fragestellungen des Gesamtprojekts
wird neben den Lebensumständen und dem Migrationshintergrund der
Wanderarbeiter insbesondere ihre Interaktion mit den jeweiligen städtischen
und staatlichen Behörden im Mittelpunkt der Untersuchung stehen.
Besonders soll der Einfluß von Migration auf die Modernisierung
osmanischer Städte und der Ausprägung neuer Formen von Urbanität
festgestellt werden.

Teilprojekt 3
„Europäische“ und balkanische Wanderarbeiter in den
spätosmanischen Hafenstädten
Dr. Malte Fuhrmann
Untersuchungsgegenstand sind einerseits die Versuche der Konsulate
und Handelsvertretungen, durch Einflußnahme auf Teile der Wanderarbeiter
die Position ihrer jeweiligen Staaten in den spätosmanischen Hafenstädten
zu stärken. Es werden die Auswirkungen der Vorgaben der 'nationalen'
Vertretungen auf die translokalen Lebensformen der 'europäischen'
und slawischsprachigen zentralbalkanischen Wanderarbeitern und auf die
Konstitution der spätosmanischen maritimen Urbanität erörtert.
Zudem werden Handeln und Perspektive der Migranten selbst innerhalb
des sozialen Kräftefeldes (Lüdtke 1993) rekonstruiert: Änderungen
der Eigen- und Weltbilder, gruppeninterne und –externe Soziabilitäten
werden im Spannungsfeld von Beharrung, "Eigen-Sinn" und Anpassung
analysiert und die konstruktiven als auch destruktiven Auswirkungen
dieser Veränderungen auf das städtische Gefüge herausgearbeitet.
Hierzu werden die Akten der deutschen und österreich-ungarischen
Konsulate Salonikis und Smyrnas sowie der bulgarischen Vertretung anhand
der von Arlette Farge entwickelten Methodik nach den gegenüber
den Wanderarbeitern entwickelten Strategien der Konsulate sowie den
Selbstzeugnissen der Betroffenen ausgewertet.

Teilprojekt 4
Migration und die Konstituierung von Urbanität in Djidda im 19.
Jahrhundert
Prof. Dr. Ulrike
Freitag
Die Stadt Jidda in der Region Hedschas war und ist das Haupteinfallstor
für muslimische Pilger, die Mekka besuchen wollen. Im 19. Jahrhundert
diente sie gleichzeitig als wichtigstes Versorgungszentrum der ganzen
Region und als Regierungssitz der osmanischen Gouverneure. Durch ihre
Funktionen war die Stadt auch ein Anziehungspunkt für Migranten,
die sich dort längerfristig niederließen. Das Teilprojekt
untersucht die Geschichte der Migration und der Integration der Migranten
in die Stadt während einer Periode, die durch Umbrüche geprägt
ist. Hierzu gehört die rapide Expansion der Transportwege und des
Handels im Zeichen der Dampfschiffahrt und der europäischen Expansion,
aber auch die osmanischen Versuche, durch Reformen eine stärkere
Kontrolle über die Provinzen auszuüben. Das Projekt fragt
nach den Regelungsmechanismen des Zusammenlebens, aber auch nach den
möglichen Konflikten, die aus der Immigration resultierten. Lässt
sich Jidda, das Immigranten aus dem Jemen, Iran, Indien und dem Horn
von Afrika absorbierte, als kosmopolitische Stadt bezeichnen?
Seminar zum Forschungsprojekt am ZMO
|
|