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Scharia, Universalität und Pluralismus: Translokale Dimensionen von Rechtskultur und Normativität

Lutz Rogler
Birgit Krawietz

Das Projekt thematisiert in translokaler Perspektive eine Gruppe von Problematiken, die mit der Evolution bzw. Transformation von normativen Orientierungen sowie von rechtlichen Diskursen und Institutionen in islamisch geprägten Gesellschaften bzw. innerhalb muslimischer Minderheiten in westlichen Gesellschaften der Gegenwart zusammenhängen.
Die translokalen Dimensionen der zu untersuchenden Fragestellungen ergeben sich einerseits aus normativ-rechtlichen Aspekten der Globalisierung, andererseits aus innerislamischen Diskursen über die Normativität der Scharia in der Moderne bzw. über die Rolle ihres normativ-rechtlichen Erbes bei der Wahrung einer spezifischen (rechts)kulturellen islamischen Identität. Als „Schnittpunkt“ von Debatten über Kultur, Religion, und identitätsbewahrendes Erbe ist die Scharia in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in einer Reihe von Staaten der „islamischen Welt“ zunehmend zum Politikum geworden. In diesem Zusammenhang erhobene Forderungen und praktische Bestrebungen zur Kodifizierung der Scharia als „authentischer“ islamischer Normativität erschienen auch als Versuche, die Hegemonie einer westlichen Rechtskultur oder normativ-rechtliche Aspekte der Globalisierung abzuwehren.

Normativität, Ethik, Sozialphilosophie: das Paradigma der maqasid al-scharia als Grundlegung einer „universalen“ Rechtsmoral

Lutz Rogler

In diesem Teilprojekt sollen ideengeschichtliche und aktuelle konzeptionelle Zusammenhänge einer Problematik untersucht werden, die in der innerislamischen Debatte im ausgehenden 20. Jahrhundert in der Auseinandersetzung mit und um die maqasid al-scharia (Intentionen, Finalitäten der Scharia) ihren Niederschlag gefunden haben. Der historisch aus der Systematik der usul al-fiqh stammende Begriff der maqasid entwickelte sich zunächst insbesondere in reformistischen Kreisen zu einem Topos der rechtsmethodologischen Diskussion und gewann im Weiteren durch die Einbeziehung ethischer und sozialphilosophischer Aspekte den Charakter eines „Paradigmas“, das als „authentisch“ islamische Grundlage für eine „universale“ Rechtsmoral dienen und neue, „moderne“ normative Orientierungen unter Wahrung einer spezifischen islamischen rechtskulturellen Identität ermöglichen soll.
Wesentliches Anliegen des Teilprojektes ist es, den ideengeschichtlichen Hintergrund zu rekonstruieren, der die Grundlage für die „Konjunktur“ des maqasid-Konzepts seit den achtziger Jahren bildete, sowie die translokalen Ideenbewegungen nachzuvollziehen, die zu der aktuellen Diskussion der maqasid al-Scharia weniger als eines rechtsmethodischen Konzepts, sondern als eines ethisch-sozialphilosophischen Paradigmas mit normativer Geltung geführt haben.

Ibn Qayyim al-Jawziyya (gest. 1350) bei dogmatischen Eklektikern im 20. Jahrhundert

Birgit Krawietz

Das Teilprojekt möchte für das 19. und 20. Jahrhundert die Rezeption
diverser Doktrinen normativen Islams am Beispiel des hanbalitischen
Theologen, Juristen und Predigers Ibn Qayyim al-Jawziyya (st. 1350)
untersuchen. Obgleich dieser berühmte Schariatsgelehrte aufgrund seines
literalistischen Textverständnisses manchen als reaktionär erscheint,
strahlt sein umfangreiches und vielschichtiges Werk in besonderem Maße in
verschiedene Richtungen aus; es wurde und wird insbesondere in den letzten
Jahrzehnten intensiv ausgeschlachtet und in ganz unterschiedlichen Kontexten
adaptiert. Bei der Analyse einschlägigen Schrifttums treten vor allem
salafitische Strategien, Ibn al-Qayyims Auskünfte zu islamischer
Normativität im weitesten Sinne sogar mit säkularem oder wissenschaftlichen
Wissen eklektisch zu fusionieren in den Vordergrund. Bei der Untersuchung
islamischer Publikationen von und zu Ibn al-Qayyim werden nicht nur die
Maghreb-Staaten und der Nahe Osten sondern auch der Indische Subkontinent
berücksichtigt.