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Translokalität im Sahara-Sahel-Raum

Britta Frede
Dr. Baz Lecocq
Dr. Laurence Marfaing

Das Projekt hat Translokalitätsphänomene zum Gegenstand, die Sahara und Sahel mit dem Maghreb und westafrikanischen Küstenländern verbinden. Es zielt damit auf einen Raum, der im allgemeinen nicht als ein zusammenhängender betrachtet wird.
Zwei der drei Teil-Projekte (3.1. und 3.2.) befassen sich mit den Wanderungen modernen Typs, die Angehörige von Gruppen mobiler Pastoralisten – Fulbe-Wodaabe aus Niger sowie Tuareg aus Mali und Niger -, in verschiedene west- und nordafrikanische Länder, besonders die dortigen städtischen Zentren, unternehmen. Das dritte Teilprojekt (3.3.) widmet sich den Reisen von senegalesischen Händlern, Pilgern, Handwerkern und Fischern nach Mauretanien und Marokko. In allen Fällen geht es wesentlich um eine Analyse der Interaktion zwischen Migranten und städtischen Bevölkerung sowie der sozialen Erscheinungen, die diese Interaktion hervorbringt. Ein wichtiger Punkt der Untersuchung ist die Frage nach der jeweiligen Natur und gesellschaftlichen Bedeutung von Differenz und Fremdheit. Fremdheit kann, so die These, fixe Statusrelationen und Ausbeutungsverhältnisse begründen, sie kann aber auch Grundlage von relativ offenen und herrschaftsfreien Beziehungen sein.
Die Idee des Vergleichs, die die beiden Teilprojekte 3.1. und 3.2. verbindet, basiert auf der Annahme, dass in den modernen Migrationen und im Austausch der Nomaden mit dem städtischen Gegenüber ein Grundzug der traditionalen pastoral-nomadischen Lebensweise, nämlich daß diese selbst bereits durch "Translokalität", d.h. durch die Teilhabe an verschiedenen sozio-kulturellen Sphären gekennzeichnet ist, auf neue Weise bedeutsam wird. Das Teilprojekt 3.3. befasst sich mit den Formen der Soziabilität, die in den Beziehungen zwischen Migranten und lokalen Bevölkerungen vorherrschen, und insbesondere mit der Frage, inwieweit diese geprägt sind im Kontext derdurch die Erinnerung an die Sklaverei einerseits, durch Ressentiments, hervorgegangen aus der Kollaboration der subsaharischen Afrikaner bei der Kolonialeroberung Mauretaniens und Marokkos andererseits.

Teilprojekt 1

Britta Frede

Translokale Diskurse islamischer Reform bei den Idaw 'Ali während der französischen kolonialen Expansion, 1830-1935

Dieses Projekt untersucht islamische Reformdiskurse der Idaw 'Ali in der Zeit der französischen kolonialen Etablierung. Diese Diskurse sollen aus einer sozialhistorischen Perspektive betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Wechselwirkung zwischen den Denkern islamischer Reform und sozialer Praxis. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Verhältnis von Wissen und Autorität. Wie lässt sich islamische Reform in einer segmentären Gesellschaft politisch durchsetzen? Anhand einer Analyse von populärliterarischen Quellen des 19. Jahrhundert aus dem westlichen Sahara-Sahel-Raum, soll diesen Fragen nachgegangen werden.

Teilprojekt 2

Moderne Migrationen der Tuareg

Dr. Baz Lecocq

In diesem Projekt werden zeitgenössische Migrationsbewegungen der Tuareg aus Mali und Niger untersucht. Seit den Dürren der 1970er und 80er Jahre und seit den Aufständen in den 1990er Jahren, sind Flüchtlings- und Arbeitsmigration integraler Bestandteil des Lebens der Tuareg. Im selben Zeitraum wurde der Fernhandel, in dem Tuareg bereits seit langem tätig waren, modernisiert und ausgeweitet in seiner Reichweite. Obwohl die Majorität der Flüchtlinge, die durch Dürre oder Krieg vertrieben wurden, in der Nähe ihrer Heimatgebiete blieb, erstrecken sich ökonomische Migrationsbewegungen und Handelsbeziehungen weit über die Tuareggebiete hinaus, bis zu den Küstenstädten Westafrikas und zum Maghreb. Ein weiteres äußerst beliebtes Ziel ist Mekka, wo sich manche Pilger nach der Hajj niederlassen. Ziel der Forschung ist, sowohl die sozialen und kulturellen Transformationen und das Anpassungsvermögen der Tuareg-Gesellschaft in diesen neu bewohnten Räumen zu beschreiben, als auch die Auswirkungen dieses Wandels für die Gemeinschaften, die in den Herkunftsgebieten bleiben. Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie interne und externe Beziehungen im Kontext einer umfassenderen westafrikanischen und maghrebinischen Diaspora geformt werden. Wie und inwieweit die traditionelle Identität der Tuareg als nomadische
Pastoralisten ihre modernen Migrationsbewegungen beeinflusst und inwieweit sie sich damit von ihren sesshaften Nachbarn unterscheiden, bleibt abzuwarten.

Projektpublikationen

Teilprojekt 3

Aneignung von Raum und Dynamisierung von Beziehungen: Senegalesen in Marokko und Mauretanien

Dr. Laurence Marfaing

Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens steht das Problem der Konstituierung translokaler sozialer Räume zwischen Senegal, Mauretanien und Marokko durch senegalesische Händler, Händlerinnen, Pilger und Handwerker im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Anknüpfend an die Ergebnisse jüngerer Forschungen zur Translokalität, d.h. zur Hervorbringung grenzüberschreitender wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Räume, soll dieser Prozess hier aus der Perspektive der senegalesischen Akteure untersucht werden. Dabei geht es vor allem um die Bedeutung von Soziabilität für die Konstituierung, Verfestigung bzw. Auflösung dieser translokalen Räume. Die Soziabilität stellt hier die verschiedenen Formen der Interaktion dar, die hervorgegangen sind aus dem Bewusstsein der Zusammengehörigkeit vermischt mit den Ressentiments aus der Erinnerung an die Sklaverei während der transsaharischen Beziehungen und der Rolle, die die subsaharischen Afrikaner bei der französischen Kolonialeroberung, bzw. bei der Unabhängigkeitsbewegung, Marokkos und Mauretaniens im 20. Jh. ausübten.