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Weltkriege
und Weltsichten. Arabische und indische Kriegserfahrungen im Spannungsfeld
von Eigensinn und Propaganda
Ravi Ahuja
Katharina Lange
Heike Liebau
Gegenstand dieses Projekts sind arabische und indische Wahrnehmungen
und Erfahrungen der beiden Weltkriege. Untersucht wird, wie die vielgestaltigen
Weltkriegswahrnehmungen in einem Spannungsfeld konkurrierender Deutungs-
und Handlungsmuster zu Weltkriegserfahrungen verfestigt und verallgemeinert
wurden, und wie die so erzeugten Erfahrungen ihrerseits Selbstbilder,
Weltsichten und Handlungsmotivationen in den jeweiligen Gesellschaften
veränderten.
Als Fortsetzung des ZMO-Projekts „Weltkriege und Weltsichten:
Arabische Wahrnehmungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs“ (2004-2006)
soll dieses Projekt zur Überwindung eurozentrischer Verengungen
in der Kulturhistoriographie des „Zeitalters der Weltkriege“
beitragen. Thematisch wird das Projekt um die Untersuchung des translokalen
und transterritorialen Konstitutionskontextes nicht-europäischer
Kriegserfahrungen erweitert, in welchem gegenläufige propagandistische
Interventionen und eigensinnige Deutungsleistungen aufeinander trafen.
Neue, komplementäre Perspektiven werden zudem durch die regionale
und soziale Erweiterung des Forschungsgegenstands eröffnet: Über
die bisher erforschten Weltkriegswahrnehmungen arabischer Kombattanten
und Intellektueller hinaus werden nun auch die Erfahrungen der arabischen
Zivilbevölkerung sowie indischer Kriegsgefangener und Intellektueller
in den Blick genommen.
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Teilprojekt 1
Kriegsbilder. Weltkriegserfahrungen der arabischen Zivilbevölkerung
Dr. Katharina Lange
Dieses Projekt schließt an das vorhergehende Teilprojekt Kriegsbilder.
Erlebnisse und Erfahrungen arabischer Teilnehmer am Ersten und am Zweiten
Weltkrieg an. Während sich das Vorgängerprojekt mit den
Weltkriegserfahrungen arabischer Kombattanten beschäftigte, stehen
nun Kriegserfahrungen und -wahrnehmungen der arabischen Zivilbevölkerung
im Mittelpunkt. Insbesondere die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs
auf den Alltag der Bevölkerung in Syrien und Jordanien sowie die
Perspektiven von Angehörigen arabischer Soldaten, die auf den verschiedenen
Seiten kämpften, sollen untersucht werden. In der Auswertung schriftlicher
und mündlicher Quellen wird nach den Erlebnissen und Wahrnehmungen,
den Handlungsspielräumen und -strategien und den daraus entstehenden
Erfahrungen arabischer Zivilisten in Syrien und Jordanien während
des Zweiten Weltkriegs gefragt. Die Herausbildung von Wahrnehmungen
und Interaktionen mit europäischen Kriegsteilnehmern, aber auch
europäischen Normen und Deutungen des Weltkriegsgeschehens und
seiner Folgen, ist ein weiterer Schwerpunkt
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Teilprojekt 2
Gefangenschaft und Deutungskämpfe: Südasiatische Kriegsgefangene
in Deutschland und das Ringen um den Sinn des Ersten Weltkriegs
Dr. Ravi Ahuja
Untersucht wird der Prozess, in welchem südasiatische Insassen
deutscher Kriegsgefangenenlager ihre Weltkriegserfahrungen deuteten,
in Handlungsmuster umsetzten und nach Südasien zurück transportierten.
Dieser multidirektionale Prozess transterritorialer Sinnproduktion verlief
strukturiert und konfliktreich, weil diverse Parteien mit gegensätzlichen
Interessenlagen auf ihn einwirkten. Diese Parteien, die Militär-,
Regierungs- und Wissenschaftskreise der kriegführenden Staaten
ebenso einschlossen wie südasiatische Exilintellektuelle, sahen
sich dabei mit widerstands- und anpassungsfähigen, oft gegenläufigen
Deutungsmustern konfrontiert, die Kriegsgefangene aus ihrem (meist bäuerlichen)
soziokulturellen Herkunftskontext einbrachten. Leitfragen der Untersuchung
sind: Welche Kategorien (etwa Religion, Ethnizität, Nation, Empire,
Klasse), welche Denkfiguren und Widersprüche prägten diesen
Prozess der Sinnproduktion? Inwieweit lassen sich anhand dieser Merkmale
ideologie- und mentalitätsgeschichtliche Kontinuitäten rekonstruieren,
die beide Weltkriege des „Zeitalters der Katastrophe“ (Hobsbawm)
miteinander verbinden? Die Archivstudien konzentrieren sich auf den
(diesbezüglich weniger erforschten) I. Weltkrieg, die Resultate
werden jedoch im Kontext des gesamten „dreißigjährigen
Krieges des 20. Jahrhunderts“ untersucht.
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Der Erste Weltkrieg in indischen Öffentlichkeiten: Von der Kriegswahrnehmung
zur Rekonfiguration von Identitäten, Weltbildern und Weltordnungen
Dr. Heike Liebau
Das Teilprojekt untersucht indische Wahrnehmungen und Erfahrungen des
Ersten Weltkrieges und ihre Repräsentation und Interpretation in
verschiedenen Öffentlichkeiten. Im Zentrum des Interesses stehen
die Auswirkungen der Kriegsereignisse auf indische Sichtweisen der Weltordnung
des Britischen Empire und der „westlichen Zivilisation“
sowie die dadurch ausgelösten Prozesse der religiösen, kulturellen
und politischen Selbstverortung durch ein breites Spektrum der gebildeten
indischen Bevölkerung. Die Wahrnehmungen indischer Intellektueller
aus unterschiedlichen sozialen und politischen Milieus stehen im Mittelpunkt
des Teilprojekts. Die von der englischsprachigen politischen Elite des
Landes geführte Debatte wird dabei mit der Verarbeitung der Ereignisse
in der von „sekundären Eliten“ geprägten und von
mittleren bis unteren sozialen Schichten rezipierten Hindi-Öffentlichkeit
kontrastiert. Eine weitere aufschlussreiche Perspektive verspricht die
Analyse des Kriegsdiskurses in der durch in Europa und Nordamerika lebende
Inder geschaffenen „Diasporaöffentlichkeit“. Als Quellen
werden Schriften der anglisierten politischen Elite und der englischsprachigen
Mainstream-Presse, die von sekundären Eliten genutzten Hindi-Medien
sowie die Produkte der von nationalistischen indischen Exilanten in
Europa und Nordamerika geschaffenen ‚Gegenöffentlichkeit’
analysiert.
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