Heimats(be)schreibung: die Entstehung einer muslimischen Identität in einem islamischen Grenzgebiet
Dr. Sebastian R. Prange
Diese Projekt untersucht die Konstruktion einer muslimischen Identität an der südindischen Malabarküste. Malabar war nie Teil der persisch-sprachigen Literaturwelt des Indo-Islams; stattdessen wurde es Bestandteil einer islamischen Handelswelt die den Indischen Ozean umspannte und Arabisch als ihre Umgangssprache hatte. Auswärtige und einheimische Muslime waren mit der Herausforderung konfrontiert, innerhalb der von Brahmanen dominierten Gesellschaftsordnung an der Küste für sich eine gemeinschaftliche islamische Identität zu beschreiben. Die Projizierung einer solchen Identität war von unmittelbarer Bedeutung für gemeinschaftliche Interessen, welche sich von kommerziellen und politischen Angelegenheiten, wie zum Beispiel der Erwirkung von Handelsprivilegien oder der Erlaubnis, Moscheen bauen zu dürfen, bis hin zu sozialen Belangen wie der Kommensalität oder interreligiösen Heiraten erstreckte.
Im 16. Jahrhundert wurde die Frage der muslimischen Identität an der Malabarküste noch dringlicher. In Reaktion zu portugiesischen Angriffen strebten Malabars Muslime es an, erstmalig die Küste nicht nur als die Heimat einiger Muslime sondern als ein islamisches Gebiet zu konzeptualisieren, und das obwohl die Region weiterhin hauptsächlich hinduistisch blieb. Dieses Anliegen hatte den Zweck, ihren Kampf gegen die Portugiesen als einen rechtsmäßigen Jihād darzustellen und damit ferne Muslime von der Pflicht zu überzeugen, ihnen darin beizustehen. Somit wird in Quellen aus dieser Zeit zum ersten Mal eine schlüssige muslimische Identität artikuliert die sich explizit auf die Malabarküste selbst bezieht. Diese Wandlung in der muslimischen Auffassung der Region geht am deutlichsten aus literarischen Werken hervor, welche den epigraphischen Quellen aus den vorhergehenden Jahrhunderten effektvoll gegenübergestellt werden können. Arabische Gedichte, Biographien, Hagiographien, Geschichtserzählungen, und Interpretationen des islamischen Rechts aus dieser Zeit fügen sich zusammen, um eine neue Auffassung der Malabarküste zu vermitteln: nicht nur als ein Landstrich in dem Muslime unter „Ungläubigen“ leben, sondern als ein islamisches Territorium mit legitimen islamischen Institutionen, einer islamischen Geschichte, und mit dem Anspruch, als legitimer Teil des dar al-Islām zu gelten.
In ihrer Kombination ermöglichen diese Texte aus dem früh-neuzeitlichen Südindien eine faszinierende Fallstudie der Anwendung eines universalistischem Idioms (basierend auf dem islamischen Literaturkanon) und einer kosmopolitischen Sprache (dem Arabischen), um eine unverkennbar lokale islamische Identität zu konstruieren. Das Projekt versteht sich als Beitrag zu der rapide fortschreitenden Forschung zur Formierung von religiösen Selbstverständnissen und -darstellungen und insbesondere zu dem vergleichenden historischen Studium von muslimischen Minderheiten in deren Verhältnis zu anderweitigen Formen des Glaubens, des Gemeinwesens, und der politischer Macht. Zu diesem Zweck ist es ein besonderes Ziel, die trans-ozeanischen Wege dieser Texte von der Perspektive der Malabarküste aus zu erforschen und zu beschreiben.
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