Der Journalist, Autor und Reisende Yūnus Ṣāliḥ Baḥrī al-Ğabūrī (1903-1979) zwischen Antiimperialismus, Arabismus und Nationalsozialismus
Nils Riecken
Das Projekt untersucht das historische Spannungsfeld zwischen Antiimperialismus, Arabismus und Nationalsozialismus am Beispiel des irakischen Journalisten, Autor und Reisenden Yūnus Ṣāliḥ Baḥrī al-Ğābūrī (1903-1979). Er arbeitete als Journalist und gab in den 1930er Jahren Zeitungen in Baghdad, Batavia, dem heutigen Jakarta, und Bogor, West-Java heraus. Er unternahm ausgedehnte Reisen im Irak, später auch im Mashreq, Nordafrika, Südostasien und Europa. Die Charakterisierung als „Ibn Baṭṭūṭa unseres Jahrhunderts“ in der italienischen Zeitschrift „Oriente moderno“ von 1932 illustriert dies. Zwischen 1939 und 1945 arbeitete Baḥrī im Arabischen Büro in Berlin und als Sprecher der arabischen Radiopropanda des nationalsozialistischen Regimes. 1958 kehrte er in den Irak zurück, wurde verhaftet und saß sieben Monate im Gefängnis von Abu Ghraib. Seine Texte umfassen ein breites thematisches Spektrum, darunter eine Autobiographie über seine Zeit in Berlin, Memoiren über seine Inhaftierung im Irak sowie Bücher über den Irak, Palästina, den Maghreb und Pan-Islamismus.
Ein zentrales Anliegen dieses Projekts ist es, Baḥrīs Leben und seine journalistischen Aktivitäten in Beziehung zum Antiimperialismus, Arabismus und Nationalsozialismus zu verstehen. Damit verbunden ist die Frage, wie diese Diskurse und Bewegungen sich in seinem Leben kreuzten. Die Analyse geht über eine gängige Dichotomisierung hinaus, die nicht selten Erklärungen der Kooperation von arabischen Akteuren mit dem nationalsozialistischen Regime charakterisiert hat. Diese Dichotomie reduziert Erklärungen auf zwei einander entgegengesetzte Alternativen, die entweder eine rein instrumentelle Interpretation („Der Feind meines Feindes ist mein Freund“) zugrundelegen oder eine vollständige ideologische Übereinstimmung zwischen arabischen Exilanten in Deutschland und dem NS-Regime konstatieren. Baḥrīs Leben kann jedoch in einer weitaus größeren Anzahl politischer Positionen und Positionierungen verortet werden Neben Antiimperialismus, Arabismus und Nationalsozialismus ist danach zu fragen, welche Rolle etwa Faschismus, Antisemitismus, Anti-Zionismus, Moderne, Demokratie, Islam und Pan-Islamismus in seinen Aktivitäten und Texten spielen. Aus einer solchen Perspektive heraus lässt sich dann fragen, in welcher Weise Baḥrī selbst diese verschiedenen Begriffe und Geschichten miteinander in Beziehung setzte.
Dies erfordert einen analytischen Forschungsansatz, der diese Begriffe historisiert und sie nicht als unveränderliche Kategorien begreift. Er muss die verschiedenen Gebrauchsweisen, Verständnisarten, Übersetzungen, Aneignungen sowie das komplexe Verhältnis zwischen Kontinuitäten und Brüchen in einem „globalen“ Leben wie dem Baḥrīs erfassen. Aus dieser Überlegung heraus folgt das Projekt einem biographischen und mikrohistorischen Ansatz, der sowohl Baḥrīs Aktivitäten an mehreren Orten als auch seine Textproduktion untersucht. Seine Texte sollen dabei insbesondere im Hinblick auf ihre Deutungsmuster und ihre narrativen Strategien untersucht werden. Die Transkriptionen der Propagandasendungen sollen, soweit vorhanden, ebenfalls in die Analyse einbezogen werden. Antiimperialismus, Arabismus und Nationalsozialismus werden hier als Begriffe verstanden, die auf politische Sprachen verweisen, d.h. Sprachpraktiken, die veränderlich sind, die institutionalisiert und kontrolliert, zu unterschiedlichen Zwecken benutzt, übersetzt sowie ganz oder teilweise angeeignet werden konnten. Dementsprechend wird Baḥrīs Leben aus einer translokalen Perspektive analysiert. Das bedeutet, den dialektischen Verflechtungen lokaler, regionaler und globaler Dimension in seinen Aktivitäten nachzugehen. Die Analyse der Geschichte einer Person soll auf diese Weise zugleich ermöglichen, den Geschichten prägender Begriffe und den sie bestimmenden Deutungsmustern und Argumentationsweisen nachzugehen.
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Verbundprojekt der Freie Universität Berlin, HU zu Berlin, Universität Hamburg und ETH Zürich
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