Bulldozer-Kapitalismus: Enteignung und politisches Handeln am Coruh-Fluss in der Türkei
Dr. Erdem Evren
In diesem Projekt untersuche ich, wie die Einheimischen angesichts einer Reihe von Wasserkraftprojekten in der östlichen Schwarzmeerregion der Türkei mit den Plänen, Vorstellungen und Konstruktionen ihrer Zukunft umgehen. Dabei betrachte ich vor allem zwei Aspekte: (1) die Formen der Kommodifizierung, Enteignung und Verfügbarmachung, zu denen der Staat bei der Umsetzung seiner Vision von einer unabhängigen, nachhaltigen Energieversorgung greift; (2) die häufig in Konflikt geratenden politischen, ökonomischen und religiösen Mittel, mit denen die lokale Bevölkerung auf die Opfer reagiert, die ihnen diese Vision im Namen von Fortschritt und regionaler Entwicklung abverlangt. Ausgehend von neomarxistischen Forschungsansätzen zu Akkumulation und Gemeingütern sowie von neuen anthropologischen Studien zu Affekten beziehe ich sowohl den materiellen als auch die immateriellen (geistigen und psychischen) Aspekte der Aneignung der Natur zu Zwecken der Ressourcengewinnung in meine Untersuchung ein. In diesem Zusammenhang argumentiere ich, dass die kapitalistische Umwandlung des ländlichen Raums in der Türkei – wie überall – durch die komplexen Beziehungen zwischen der Logik des Kapitals und den Gefühlslagen sozialer Subjekte bedingt ist.
Meine ethnografische Forschung geht diesen Fragen im Çoruh-Tal in der Provinz Artvin nach, wo entlang des Hauptflusses und seiner Zuflüsse insgesamt 15 Staudämme und 166 Laufwasserkraftwerke entweder geplant oder schon gebaut sind. Mein Hauptaugenmerk gilt dem Konflikt um den Yusufeli-Staudamm, nach dessen Fertigstellung das gesamte Stadtzentrum und 19 Dörfer in der Umgebung überflutet werden, was die Umsiedlung von mindestens 20.000 Menschen notwendig macht und sämtliche landwirtschaftliche Nutzflächen zerstört. Ich beschäftige mich mit den politischen und ökonomischen Subjektivitäten, die bei diesen neuen Verschmelzungen von Öffentlichem und Privatem sowie Legalem und Informellem entstehen, und interessiere mich dabei besonders für die Themen Kompensation, Temporalität und die Ausprägung politischer Identitäten.
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